Lehrer gehen auf die Straße

Tausende Berliner Lehrer wollen heute streiken: Sie sollen unbezahlt eine Stunde mehr in der Woche unterrichten. Protest gegen Unterrichtsausfall und Überlastung. Studie: Lehrer arbeiten mehr als andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst

aus BerlinJULIA NAUMANN

Die Großdemonstration Mitte März war erst der Anfang. Im vergangenen Monat gingen 40.000 LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen wegen der Bildungsmisere in der Hauptstadt auf die Straße. Heute soll der Protest verschärft werden: Ein Großteil der Berliner LehrerInnen will die Arbeit niederlegen. Sie demonstrieren dagegen, dass ihre wöchentliche Arbeitszeit ab dem kommenden Schuljahr pauschal um eine Stunde erhöht wird.

Einen entsprechenden Beschluss hatte der Berliner Senat unter der Ägide von Schulsenator Klaus Böger (SPD) kurz nach seinem Amtsantritt im Herbst einmütig beschlossen. Dabei hatte es vor und während der rot-schwarzen Koalitionsverhandlungen immer wieder geheißen, dass im Bildungsbereich nicht noch mehr gekürzt werde.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) rechnet damit, dass über 70 Prozent der Lehrerschaft streikt. In Berlin gibt es 1.000 Schulen und ungefähr 33.000 LehrerInnen. Der Vorsitzende der Berliner GEW, Ulrich Thöne, wird nicht müde zu betonen, dass die zusätzliche Unterrichtstunde pro Woche eine Mehrarbeit von wöchentlich mindestens drei bis vier Zeitstunden bedeute. „Damit ist das Maß voll. Das geht so nicht mehr weiter“, rechtfertigt er den Streik.

In Berlins Klassenzimmern sitzen drei Schüler mehr als im Bundesdurchschnitt und immerhin zwei Schüler mehr als in Hamburg. Nach Angaben der GEW arbeiten LehrerInnen ohnehin mehr als andere im öffentlichen Dienst Beschäftigte. Eine neue Studie der Unternehmensberatung von Mummert & Partner belegt, dass Lehrkräfte bis zu 200 Stunden mehr arbeiten als andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst – fünf Wochen pro Jahr.

Auch sonst sieht es nicht gut aus an den Schulen der Hauptstadt: Das Kollegium ist völlig überaltert, es werden nicht genügend junge Referendare eingestellt. Entsprechend hoch sind Krankenstand und die Austritte wegen Pensionierung. Die Folge: Unterrichtsausfall an fast allen Schulen. Teilungstunden für Kinder nichtdeutscher Herkunft werden gekürzt. Förderstunden müssen wegfallen, weil sonst der normale Unterricht nicht mehr gewährleistet wäre.

Dennoch stößt der Streik, federführend von der GEW vorbereitet, nicht bei allen Lehrern auf positive Resonanz. Einige streiken explizit nicht, weil ihnen der Anlass zu „nichtig und egoistisch“ ist. Andere wollen nicht streiken, weil sie verbeamtet sind.

Denn Schulsenator Klaus Böger (SPD) droht mit Lohnkürzungen und Einträgen in die Personalakte. Der Streik sei grundsätzlich falsch, erklärt Böger. Doch der ehemalige Lehrer hat in den vergangen Wochen gemerkt, dass es an den Schulen dringenden Handlungsbedarf gibt. Nach der Großdemo im März hat er Eltern, SchülerInnen und SchulleiterInnen wiederholt zu Gesprächen eingeladen. In Sachen Arbeitszeiterhöhung bleibt er jedoch eisenhart. „Daran wird sich nichts mehr ändern“, betonte Böger gestern noch einmal.

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