Vertrieben vom Venusberg

Razzia, Razzia, Razzia: Bordellbesitzer Dieter Engel ist zutiefst gekränkt. „Dona Carmen“ kämpft für die ausländischen Prostituierten

aus Frankfurt am Main HEIDE PLATEN

Vorab: Ein empörter, zutiefst gekränkter, beleidigter Bordellbetreiber ist ein Anblick, der Frauen meist nicht gerade die Tränen in die Augen treibt. Bei Dieter Engel ist das anders. Deshalb sei zuerst einmal klargestellt: Ein Bordellbetreiber ist kein Zuhälter, sondern einer, dem zum Beispiel ein Haus gehört, das er verpachtet oder in dem er Zimmer an Prostituierte vermietet. Dass er dafür Geld bekommt, sich oft gar eine goldene Nase verdient, also mittelbar von dem Geld lebt, welches Frauen von ihren Freiern für sexuelle Dienstleistungen einnehmen, bestreitet Dieter Engel nicht. So einer muss einem eigentlich nicht sympathisch sein. Aber, wie gesagt, bei diesem Bordellbesitzer ist das ein wenig anders.

Ein Kellerabgang im Frankfurter Ostend. An der Tür ein großer, linkisch-tapsiger Mann. Der 63-Jährige mit den Apfelbäckchen, den schweren Brauen über den blauen Augen, will sich und den Besuchern „einen schönen Abend machen“. Dieter Engel genießt sein „Portweinchen“, schmaucht eine Zigarre und begrüßt seine Gäste mit rheinischem Zungenschlag. Er führt sie in einen Raum, japanisches und arabisches Dekor, Boudoir und Bauernstube. Und er freut sich wie ein kleiner Junge, der sein Spielzeug präsentiert. Spielzeug für Erwachsene. Die grafischen Blattsammlungen, der Nippes in den Vitrinen, die bewegten Objekte drehen sich immer nur um das eine, mal deftig, mal subtil. In einem Guckkasten wuseln die Akteure der Französischen Revolution, von Hand mechanisch angetrieben, durcheinander und treiben es zu den Klängen der Marseillaise. Der „Venusberg“ hat Club-Charakter, die Gäste melden sich an. Ein Schauspieler ist geladen, liest Marquis de Sade. Die Lesungen und Rezitationen erotischer neuer und alter Literatur finden regelmäßig statt. Früher war Dieter Engel Mäzen junger Literaten. Früher. Er muffelt: „Das mache ich nicht mehr. Alles Blödsinn!“ Engel fühlt sich von der Stadt, von den Behörden diskriminiert. Hinter den in letzter Zeit so häufigen Razzien vermutet er „als wirklichen Background“ Grundstücksspekulationen. Die Bordellbetreiber sollen vertrieben werden. Vertrieben?

Messezeit ist eigentlich Stoßzeit

Messezeit ist Stoßzeit in Frankfurt am Main. Eigentlich. Die Bordelle sind leer gefegt, im Bahnhofsviertel die Hälfte der Frauen fort. Der Kiez mit Dorfcharakter an der Breiten Gasse in der Innenstadt ist verwaist. Ordnungsamt, Ausländerbehörde und Polizei legten seit dem Winter Razzia um Razzia unnachgiebigen Säuberungswillen an den Tag. Sie machten Jagd auf Frauen, so genannte „Illegale“, die ihrer Arbeit im Rotlichtmilieu ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis nachgehen. Frauen und Bordellbetreiber sind gleichermaßen sauer. Da 80 Prozent der rund 2.000 Frankfurter Prostituierten illegal arbeiten, komme das, sagt Juanita Henning, die Vorsitzende der Prostituiertenorganisation „Dona Carmen“, dem Versuch der Abschaffung der Prostitution gleich.

Das „Sudfaß“ am Mainufer. Dieter Engels Sex-Unternehmen. Rosa Herzen blinken in den Fenstern. Das Haus wird von Frankfurter Prostituierten liebevoll „die Engelburg“ genannt. Hier ist Dieter Engel, nach 21 Jahren des ungestörten Betriebes, schon einmal gescheitert. Das hat er schwer und persönlich genommen, Briefe geschrieben, sich beschwert.

Dieter Engel hatte Ärger bekommen, weil er die Frauen in ihren Arbeitspausen in die Gaststätte im Haus gelassen und versucht hatte, sie sozial- und krankenzuversichern. Er leiste damit, so die Polizei nach einer Razzia, „der Unsittlichkeit Vorschub.“ Die Ermittler: „Der Beschuldigte hat eine Reihe weiterer Maßnahmen ergriffen, die der Prostitutionsausübung förderlich sind: die Inneneinrichtung ist gediegen und vermittelt dem Besucher das Gefühl, sich in einem Etablissement der gehobenen Klasse zu befinden.“ Bessere Bedingungen für die Prostituierten? Zu gediegen. Dass damit der Paragraf 180 a des Strafgesetzbuches, einst zum Schutz der Frauen vor Zuhälterei und Ausbeutung gedacht, ins schlichte Gegenteil verkehrt wurde, schien die Behörden nicht zu stören. Dieter Engel gab seine Schankkonzession zurück.

Im Dezember 1999 dann der nächste Brief. Die Ausländerbehörde wies diesmal auf die „ausländer- wie melderechtlichen Pflichten“ der Bordellbetreiber hin und drohte bei Nichteinhaltung mit Konsequenzen: bis zu fünf Jahre Haft und die Zahlung der Kosten für die Abschiebung illegal arbeitender ausländischer Frauen, im Einzelfall bis zu 4.000 Mark. Die Behörde bezog sich dabei sowohl auf das hessische Meldegesetz, das „Herbergsgeber“ verpflichte, einen Meldeschein auszustellen, als auch auf ein in zweiter Instanz gefälltes Urteil des Frankfurter Landgerichts vom Mai 1998, in dem ein Bordellbetreiber zu 32.000 Mark Geldstrafe verurteilt worden war. In sieben Fällen habe er sich dadurch, dass er an Zimmer an illegal arbeitende Frauen vermietete, der Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz schuldig gemacht. In anderen Verfahren waren Zimmervermieter wegen gegenläufiger Rechtsauffassung der Gerichte freigesprochen worden. Was nun?

Die Rechtslage unklar. Die Bordellbesitzer verwirrt. Befolgen sie einerseits die Kontrollauflagen und lassen sich Pässe und Papiere der Frauen zeigen, verstoßen sie andererseits gegen die Bestimmungen des Datenschutzes, der gerade das untersagt. Polizeisprecher Peter Borchardt beruhigte die aufgebrachten Gemüter, sicherte Ende Januar zu, dass der Brief der Stadt keine Razzien zur Folge haben werde.

Von wegen. Mittags, 14 Uhr, in der ersten Februarwoche: Vor der Hausnummer 27 in der Breiten Gasse sind Polizeiwagen vorgefahren. Polizisten stürmen die Zimmer. Die Frauen müssen sich nackt ausziehen, dürfen dann wieder BH und Höschen anlegen und werden in diesem Aufzug fotografiert. Die Zimmer, sagt eine Zeugin, wurden „total auf den Kopf gestellt“, alles Geld beschlagnahmt. Beamte holen 29 Frauen aus dem Haus. Tags zuvor hatten sie in der Taunusstraße 32 im Bahnhofsviertel 34 Frauen abgeführt, im Polizeipräsidium erkennungsdienstlich behandelt. Sieben werden verhaftet, die meisten erhalten eine Ausweisungsverfügung mit sofortiger Wirkung. Sie haben sieben Tage Zeit für die Ausreise. Werden sie wieder erwischt, werden sie inhaftiert und sofort abgeschoben.

Die osteuropäische Mafia kommt

Und dann: Razzia, Razzia, Razzia. Taunusstraße, Elbestraße, Moselstraße. Dass die Durchsuchungen sich, wie die Polizei hinterher versicherte, gegen die Bordellbetreiber, nicht aber gegen die Frauen richteten, empfindet Juanita Henning von „Dona Carmen“ als Hohn. Der Streit werde auf dem Rücken der Frauen ausgetragen, sagt sie. Schließlich seien sie es, die eingesperrt und abgeschoben werden. Da die Frauen aus Nicht-EU-Ländern ohnehin nur in Ausnahmefällen eine Arbeitserlaubnis bekommen, keinesfalls aber eine für die Ausübung der Prostitution, entstehe eine absurde Situation: Das Unmögliche wird gefordert.

Die Ausländerbehörde reagierte ironisch. Die Bordellbetreiber könnten ja an legal in Deutschland lebende Frauen vermieten. Behördenchef Heiko Kleinsteuber: „Die gibt es ja!“ Gibt es nicht, sagen die Bordellbetreiber. Deutsche Frauen seien schon seit mindestens zwölf Jahren nicht mehr im Bahnhofsviertel tätig. Sie haben sich, wenn überhaupt, auf die einträglichere und kaum kontrollierbare Wohnungsprostitution zurückgezogen. Dorthin oder aber, schlimmer noch, in Parks und auf die Straßen, werden sich nun auch die Frauen aus Kolumbien, der Karibik und Asien zurückziehen, fürchtet Juanita Henning von „Dona Carmen“. Ähnliche Erfahrungen haben holländische Bordellbetreiber schon 1998 nach einer Vertreibungsaktion gemacht.

Derweil schmort ein Gesetzentwurf der Grünen „zur Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von Prostituierten“ in den Schubladen des parlamentarischen Betriebes. Nach ersten Konsensgesprächen soll er im Sommer in den Bundestag eingebracht werden. Er soll den Frauen Festanstellung, Sozial- und Krankenversicherung ermöglichen und die Stigmatisierung der Prostitution als „sittenwidriges“ Geschäft aufheben.

Die Frankfurter Ordnungsbehörden haben dagegen in den letzten Wochen die Gangart noch einmal verschärft. Nun bieten einige Bordellbesitzer ihre leer geräumten Etablissements der osteuropäischen Mafia zum Verkauf an. Deren Geschäftsmethoden sind als erheblich härter bekannt als die der alteingesessenen Bahnhofszene.

„Dona Carmen“ wehrt sich. Die kleine Organisation schreibt Briefe an Parteien, klebt Plakate, sammelt Unterschriften, inseriert in Tageszeitungen. Dieter Engel jedoch, der zutiefst gekränkte Bordellbesitzer, hat resigniert.