„Einer der übelsten Schmutzfinken der Zunft“

Der jüdische Historiker Julius Schoeps, Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums der Universität Potsdam, begrüßt das Urteil gegenDavid Irving. Trotzdem sei dieser „Scharlatan der Sachbuchbranche“ durch den Prozess aufgewertet und nicht mundtot gemacht worden

taz: Der High Court in London hat gestern das Urteil gefällt, dass der britische Historiker David Irving weiterhin als „Hitler-Bewunderer“ und als „Leugner des Holocaust“ bezeichnet werden darf. Welche Bedeutung hat dieses Urteil aus Ihrer Sicht?

Julius Schoeps: Es ist erfreulich, dass ein unabhängiges Gericht einen der übelsten Schmutzfinken in der revisionistischen Zunft entlarvt hat. Das ist ein großer Fortschritt. Denn bis heute denken immer noch viele, Irving sei ein seriöser Historiker. Das ist er einfach nicht. Er ist ein Scharlatan der Sachbuchbranche.

Das Urteil über Irving war ja bisher tatsächlich ambivalent. Viele haben ihn zwar als „faschistoiden Historiker“ betrachtet, aber gleichzeitig gilt er auch als „brillanter Historiker des Faschismus“. Seine Quellenkenntnis und sein Fleiß werden gelobt.

Sicherlich ist richtig, dass er unermüdlich in den Archiven forscht. Er sichtet Akten, er liest sie sogar auch, aber er bewertet sie eben nicht kritisch. Stattdessen deutet er die Quellen selektiv und dreht sie so, wie er sie gerne haben will. Für einen Historiker ist das eine reine Todsünde. Er will nur sein vorgefertigtes Bild bestätigt sehen.

Dabei wird der Judenmord von Irving als solches gar nicht geleugnet – sein Trick ist eher, Details des Holocaust anzuzweifeln, gezielt klein zu reden und so den Massenmord zum Verschwinden zu bringen.

Irving ist ein klassischer Revisionist. Indem er etwa die genaue Zahl der ermordeten Juden bezweifelt – nach dem Motto, es waren nicht sechs Millionen Tote, sondern nur 5,9 Millionen – hofft er, den Holocaust als solchen zu erledigen. Das ist übrigens etwas sehr Typisches, was wir schon aus den Zwanzigerjahren kennen. Damals wurde mit denselben Methoden bezweifelt, dass 10.000 Juden im Ersten Weltkrieg gefallen waren. Das war die gleiche Masche. Und ich kann nur sagen: Das ist ekelhaft. Noch schlimmer ist allerdings, dass Irving versucht, die Existenz von Gaskammern zu leugnen – mit Hilfe der Gutachten von irgendwelchen dubiosen Chemikern. Dies ist übrigens ein sehr geschickter Angriff auf der symbolischen Ebene. Im kollektiven Gedächtnis wird Auschwitz längst mit den Gaskammern gleichgesetzt. Es wird also versucht zu behaupten: Wenn es die Gaskammern nicht gab, dann gab es auch den Holocaust nicht. Damit muss Irving auf jeden Fall scheitern, denn der Holocaust als organisierter Massenmord ist inzwischen bestens erforscht.

Mit Nachdruck besteht Irving ja auch darauf, dass es nicht Hitler war, der den Judenmord angeordnet hat. Stattdessen soll es die nachgeordnete Bürokratie gewesen sein.

Diese Frage wird auch von ernsthaften Historikern intensiv diskutiert. Es spricht durchaus einiges dafür, dass der nationalsozialistische Apparat selbstständig agiert hat. Aber daraus lässt sich überhaupt nicht die These von Irving ableiten, dass es deswegen das Verbrechen des Holocaust gar nicht gegeben habe – das ist völlig abwegig.

Zu diesem Prozess ist es letztendlich ja dadurch gekommen, dass versucht wurde, Irving und seiner Leugnung des Holocaust offensiv zu begegnen.

Ja, insofern war es ein politischer Prozess.

Aber wurde dieses Ziel erreicht? Wäre es nicht besser gewesen, von Anfang an und konsequent Irving zu ignorieren?

Dieser Prozess hat in der Tat seine problematischen Seiten. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen wurde das Gerichtsverfahren zur Plattform für revisionistisches Gedankengut. Monatelang musste über diese abwegigen Argumente breit verhandelt werden. Umfangreiche Gutachten wurden erstellt. Damit wurden die revisionistischen Thesen automatisch aufgewertet. Zum zweiten diente der Prozess vor allem der Person David Irving, seinem Ruhm und seiner Ehre. Irvings Bücher werden weiter verkauft. Er hat weiter seinen Markt von Unbelehrbaren, die seine Werke gierig kaufen. Ein Prozess bewirkt also wenig; es ist besser, jemanden konsequent rechts liegen zu lassen.

Hat der Prozess also nur geschadet?

Nein. Immerhin hat das Urteil den großen Vorteil, dass ein unabhängiges Gericht festgestellt hat, dass man David Irving gefahrlos als das bezeichnen darf, was er ist: ein Holocaust-Leugner. Trotzdem: Dieser Prozess war ein Prozess der Irrtümer.

Wieso?

Beide Seiten haben sich getäuscht. David Irving ging es um seine Reputation. Er hoffte, dass vor Gericht die historische Wahrheit festgestellt würde. Das war aber gar nicht die Bedeutung und der Sinn dieses Prozesses: Es war ein politischer Akt. Historische Wahrheiten werden grundsätzlich nicht vor Gerichten geklärt. Seine Prozessgegner meinten, mit einem solchen Verfahren könnte man Irving mundtot machen. Was nicht gelungen ist. Stattdessen hat dieser Überzeugungstäter wieder einmal ein weltweites Publikum gefunden. Insofern war dieser Prozess ein doppeltes Missverständnis.

Interview: ULRIKE HERRMANN