Wem das Leselämpchen helle leuchtet

■ Die Hamburgischen Electricitätswerke powern zum zweiten Mal deutsche Literatur

Wo viele Menschen das Bücherlesen als Zumutung empfinden, aber auch nicht ganz ohne auskommen wollen, wird Literatur wieder eine Sache der Inszenierung. Leider sind die goldenen Zeiten vorbei, da Dichter noch vornehmlich Genies waren und sich von ihren Anhängern als solche kultivieren liessen. Heute sind sie im Hauptamt Ex-Fernsehstars, Wahlberliner oder Jungautoren und lassen ihre Leser und Zuhörer an ihrem Dasein als Fernsehstars, Wahlberliner oder Jungautoren teilhaben. Dass sie das, wenn auch häufig erst in zweiter Linie, als „Literaten“ tun, scheint aber nach wie vor mit einem gewissen Nimbus verbunden zu sein, den in der Lesung jeder schauen darf.

Etwas von dem Glanz kann sogar auf einen Energiekonzern abstrahlen, wenn er sich zum Veranstalter solchen Geschehens macht. Das scheinen sich zumindest die HEW zu versprechen, die mit den zweiten Hamburger Lesetagen beweisen möchten, dass sie neben profaner Alltagszivilisation auch veritable Schreibkultur powern können. Bei einer Zahl von vierzig Autoren ist ein Anteil Spartenware unvermeidlich, dennoch bleibt genug Raum für eine ganze Reihe interessanter Termine.

Der DDR-Störenfried Wolf Biermann gibt am Donnerstag im Völkerkundemuseum Lieder und Lyrik aus seinem Band Paradies uff Erden zum Besten, den man als die Antwort eines Wahlhamburgers auf das Modegenre Berlin-Roman verstehen kann – eine „zerrissene Hymne auf die Berliner Republik“. Am nächsten Abend liest im HEW-Kundenzentrum der als Lyriker mehrfach ausgezeichnete Hamburger Mirko Bonné aus seinem Prosadebut mit dem täuschend altmodischen Titel Der junge Fordt. Zur gleichen Zeit ist im Literaturhaus die Bachmann-Preisträgerin Alissa Walser mit ihrer Kurzgeschichtensammlung Die kleinere Hälfte der Welt zu Gast, in denen sie die Machtspiele in Beziehungen ans Licht zerrt.

Am Montag stellt Arnold Stadler, der letztes Jahr den Büchner-Preis bekam, in der Patriotischen Gesellschaft seinen bitter-grotesken Roman Ein hinreissender Schrotthändler vor, in dem ein moderner Tartuffe eine eingefahrene Ehe auseinanderbrechen lässt. Reinhard Jirgl, der Schwarzmaler unter den Gegenwartsautoren, lässt am selben Abend im Literaturhaus seine bemitleidenswerten Protagonisten daran scheitern, Die atlantische Mauer zu überwinden.

Drei Dutzend weitere Autoren lesen bis nächsten Mittwoch an diversen Orten – für jeden, der möchte, auch reihenweise Fernsehstars und Jungautoren.

Felix Koch

Das Programm im Überblick gibt es unter www.lesetage.hew.de , Karten kosten fünf Mark