fragen sie frau carola: hygiene unter dreißig
von CAROLA RÖNNEBURG
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Wer wie ich nebenberuflich einer Kummerkastentantentätigkeit nachgeht, muss oft zu häuslichen Zerwürfnissen Stellung nehmen.

„Liebe Frau Carola“, schreiben mir etwa Sonja K. und Annette P. aus F., „wir sind zwei von drei Bewohnern einer an sich gut funktionierenden Wohngemeinschaft. Jetzt waren wir beide im Urlaub. Unser neues 27-jähriges WG-Mitglied Uwe blieb zu Hause. Als wir zurückkamen, sah die Wohnung so aus (Fotos anbei). Was haben wir falsch gemacht? Und was können wir tun?“

Die Fotos zeigen a) einen Haufen weißes Pulver; b) einen Pizzaschachtelturm; c) etwas, was einmal eine Tischdecke gewesen sein könnte; und d) ein seltsames versteinertes Waschbecken.

Was soll ich dazu sagen?

„Liebe Sonja K., liebe Annette P. – Sie haben sich wider besseres Wissen einen jungen Mann unter dreißig in die häusliche Gemeinschaft geholt und damit eigentlich schon alles falsch gemacht. Bis der amerikanische DNS-Forscher J. Craig Venter das Hygiene-Gen entschlüsselt und patentiert hat und damit reich geworden ist, wird noch viel Zeit vergehen – Sie können also überhaupt nichts tun. Lassen Sie mich Ihnen trotzdem anhand der Fotografien erklären, was es mit dem jungen Mann im Allgemeinen und im Besonderen in einer Wohngemeinschaft auf sich hat.

Objekt a), ein Haufen weißen Pulvers, bedeutet nicht etwa, dass Ihr Mitbewohner während Ihrer Abwesenheit drogensüchtig geworden ist. Das lässt sich aus den kleinen Kügelchen im Pulverhaufen schließen, so genannten Megaperls: Uwe hat offenbar recht verschwenderisch ein neues und teures Waschmittel eingesetzt. Das ist nichts Ungewöhnliches in seinem Alter, in dem man noch an die Macht der Chemie glaubt. Wenn Sie einmal in der verwüsteten Küche nachsehen wollen, dann entdecken Sie dort bestimmt auch ein ‚antibakterielles‘ Geschirrspülmittel.

Der Pizzaschachtelturm weist nicht nur auf die einseitige Ernährung des jungen Mannes hin, sondern ist auch als Geste des guten Willens zu verstehen: ‚Ich habe aufgeräumt‘, soll die italienische Säule signalisieren.

Das, was einmal eine Tischdecke gewesen sein könnte, war natürlich eine Tischdecke. Junge Männer unter 30 legen gern eine Tischdecke auf; zum Beispiel, wenn sie Damenbesuch erwarten. Sie wechseln Tischdecken jedoch niemals nach nur einem Rotweinfleck oder geringfügigen, leicht verwischten Ascheresten, weil sie dann die Tischdecke in die Waschmaschine geben müssten. Das aber geht nicht, weil im Moment sonst nichts Gelbes dreckig ist.

Das Waschbecken ist jedoch etwas ganz anderes. Betrachten Sie die schneeweißen Versteinerungen bitte genau: An den Rändern des Waschbeckens haben sich winzige Terrassen ausgebildet und fächerartig nach unten verbreitet. Dreht man den Hahn auf, dann läuft das Wasser durch jedes der übereinander gestaffelten Bassins, bevor es den Abfluss erreicht – ein kleines Wunder! Ihrem Mitbewohner ist es gelungen, ein Zahnpasta-Pamukkale herzustellen. Machen Sie das Badezimmer der Öffentlichkeit zugänglich. In der Türkei, wo das Original zu sehen ist, gilt das 100 Meter hohe und 5 Kilometer breite Sinterterrassengebirge als Sehenswürdigkeit ersten Ranges und wird nachts beleuchtet.“