zoologie der sportlerarten
: PROF. HOLGER HIRSCH-WURZ über den Eishockeyspieler

EIN ZAHNLOSER ANGSTHASE

Nachdem wir uns vor zwei Wochen den homo macrocellensis zu Gemüte geführt haben, wollen wir uns heute mit seinem kleinen Bruder befassen, dem homo cellensis cellensis.

Es handelt sich dabei gemeinhin um einen Erwachsenen, der in seinen Verhaltensmustern auf der Stufe eines Vierjährigen stehen geblieben ist. Weil aber die echten Vierjährigen nichts von ihm wissen wollen und ihn regelmäßig aus der Sandkiste verweisen, schnappt er sich einen Schläger und geht aufs Eis. Dort tobt er sich aus, und wenn ihm jemand dumm kommt, haut er ihm aufs Maul. Wenn ihm keiner dumm kommt, kommt er eben den anderen dumm, und die hauen ihm aufs Maul. Darauf haben die übrigen verkleideten Vierjährigen nur gewartet, und schon ist die schönste Massenkeilerei im Gange, sehr zur Freude der vielen Vierjährigen auf den Zuschauerrängen – homo cellensis cellensis voyeuris – die auch gern mitmischen würden, aber entweder zu viel Angst haben, was aufs Maul zu bekommen, oder einfach nicht Schlittschuh laufen können. Anschließend geht der homo cellensis cellensis glücklich nach Hause und freut sich, was für einen gaudivollen Tag er doch wieder hinter sich gebracht hat.

Manchmal bekommt der Eishockeyspieler auch Stubenarrest, was er ziemlich ungerecht findet, weil ja der andere angefangen hat. Zum Glück hat er ziemlich nachsichtige Erziehungsberechtigte, die ihn schon nach zwei Minuten wieder aus seinem Käfig lassen, damit er weiter stänkern kann, was er auch sogleich tut. Der Dompteur des homo cellensis cellensis, gemeinhin Coach genannt, sieht diese Verhaltensauffälligkeiten gelegentlich nicht so gern, weil gegnerische Mannschaften dazu neigen, die temporäre Käfighaltung des Delinquenten zum erfolgreichen Torschuss zu nutzen.

Das Alter des homo cellensis cellensis kann man an der Anzahl seiner Zahnlücken erkennen. Je zahnloser, desto vierjähriger, könnte man sagen. Hin und wieder trifft man auch Exemplare mit Komplettgebiss, was uns zu den beiden Unterarten des homo cellensis cellensis bringt: homo cellensis cellensis brutalis und homo cellensis cellensis virtuosis. Bei Letzterem handelt es sich um eine eher selten anzutreffende Form, die bevorzugt in Russland und Tschechien, gelegentlich in Schweden oder Finnland, manchmal in Kanada, kaum in Deutschland und schon gar nicht in Italien vorkommt.

Während der Brutalis seine Kelle im Wesentlichen dazu hat, sie irgendwelchen zufällig vorbeikommenden Kontrahenten überzubraten, an deren Beinen zu hakeln oder damit zaghaft nach dem Puck zu stochern, verfügt der Virtuosis über die künstlerische Fähigkeit, der glitschigen Scheibe per Schläger seinen Willen aufzuzwingen und sie in die gewünschte Richtung zu befördern. Der Virtuosis genießt deshalb das Privileg, nicht mehr selbst prügeln zu müssen. Als eine Art Sandkastenbandenführer hat er dafür seine Vasallen. Sein Job ist es, sich des Pucks anzunehmen und diesen möglichst häufig am gegnerischen Macrocellensis vorbei in die Maschen zu zaubern. Wenn ihm das oft genug gelingt, darf er mit einschlägig beliebten russischen Tennisladies herumpoussieren, diese dann aber doch nicht heiraten.

Das liegt vor allem daran, dass der homo cellensis cellensis, ganz egal ob brutalis oder virtuosis, auch außerhalb der Eisfläche ein merkwürdiges Sozialverhalten an den Tag legt. Abgesehen von der seltsamen Ausdrucksweise – er spricht entweder französisch, bayrisch oder, wenn er Russe bzw. Skandinavier ist, gar nicht –, fällt er vor allem durch seine legendäre Affinität zu hochprozentigen Getränken auf, was ihn dann doch vom gewöhnlichen Vierjährigen unterscheidet. Wenn er aber kein Bier mehr bekommt, schaut er, als hätte man ihm seine Förmchen weggenommen, und schlägt Krach, selbst wenn er sich bei Olympischen Spielen in einem als „Deutsches Haus“ getarnten japanischen Tempel befindet. Scheidet er gar aus und kommt aus den USA, wird er richtig wütend und haut das Olympische Dorf zu Klump. Dann rennt er weg und lacht sich eins. Tief in seinem Herzen ist der so martialisch daherkommende homo cellensis cellensis nämlich ein Angsthase.

(Wissenschaftliche Mitarbeit: MATTI LIESKE)

Autorenhinweis:Holger Hirsch-Wurz, 69, ist ordentlicher Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.