„Ich bin nicht schockiert“

Warum sich Shoko Doseko, aus Japan angereiste Anhängerin von Borussia Dortmund, kaum wundert über das 1:3 gegen Unterhaching und sogar bald wiederkommt ins Westfalenstadion

aus DortmundULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Fünf Minuten waren noch zu spielen. Auf der Haupt- und Gegentribüne des Dortmunder Westfalenstadions suchten die Sitzplatzbesucher fluchtartig den Schutz der Nacht – oder der VIP-Lounge, je nachdem. Der harte Kern der BVB-Fans jedoch, der auf der Südtribüne standfest jedem Unheil ins Auge blickt, reckte Schals und Bierbecher in die Höhe und stimmte ein getragenes „You’ll Never Walk Alone“ an.

„Häme und Spott der Zuschauer“ wollten später einige Lokaljournalisten ausgemacht haben, aber diese Einschätzung war ebenso weit von der Realität entfernt wie der bizarre Spielbericht, den der Fernsehsender Sat.1 seinem Publikum zumutete. Von einer „total überlegenen Borussia“ sprach Reporter Jörg Wontorra, erwähnte „Chancen über Chancen“ und rückte schließlich einen brennenden schwarz-gelben Schal ins Bild. Vielleicht ist diese völlige Verkennung dessen, was sich auf und abseits des Platzes abspielte, aber auch nur bezeichnend: Man kann nämlich in Dortmund langsam den Eindruck gewinnen, dass die Einzigen, die überhaupt noch den Durchblick haben, die Fans sind. Sogar solche, die sich normalerweise 11.000 Kilometer vom Geschehen entfernt befinden.

„Nein, ich bin nicht schockiert von der Leistung der Mannschaft“, sagte Shoko Doseko leise nach der 1:3-Niederlage ihres BVB gegen die SpVgg Unterhaching. „Ich habe zu Hause in Japan die Kommentare der deutschen Fans verfolgen können, deshalb war ich auf ein solches Spiel vorbereitet. Sogar auf ein solches Ergebnis.“ Shoko lebt in Tokio und konnte das Wohl und Wehe ihres Lieblingsklubs bislang nur übers Internet verfolgen. Sie war an diesem Dienstagabend zum ersten Mal im Westfalenstadion, aber ihre Bilanz des Spiels fiel dennoch treffender aus als die mancher Kommentatoren: „Wir waren völlig ungefährlich. Hätte uns der Keeper von Unterhaching nicht ein Tor geschenkt, hätten wir niemals getroffen.“

Damit bezog sie sich auf das 1:1 durch Lars Ricken (27.), das nur mit Hilfe eines Landesliga-Torwarts in Reihen des Aufsteigers aus München möglich war. Womit das Niveau der Begegnung schon ausreichend eingegrenzt ist, denn landesligareif war auch die schwarz-gelbe Beteiligung an dem, was als „Fußball-Spiel“ angekündigt war. Beim Freistoßtor zum 0:1 durch Seitz (7.) wollte sich Kohler aus unerklärlichen Gründen vom Ball wegdrehen und fälschte ihn prompt ins Netz ab. Für das 1:2 (Strehmel, 49.) konnte sich Jens Lehmann einen Assist-Punkt gutschreiben lassen, während Addo, Wörns und Dede sich weigerten einzugreifen. Der Schlusspunkt schließlich – das schön herausgespielte 1:3 durch Schwarz (58.) – war ein lehrreiches Beispiel dafür, dass eine Viererkette nur dann sinnvoll ist, wenn sie sich auch mal bewegt.

Doch wo blieb angesichts dieser Peinlichkeiten der „Hohn und Spott“? Für einen kurzen Moment fragten die Fans hämisch „Und ihr wollt an die Börse gehen?“, doch dann folgte gleich wieder der trotzige Gesang vom Verein, der niemals untergehen wird. „Das Einzige, was ich so nicht erwartet hatte“, meinte Shoko, „war die Reaktion der Zuschauer. Ich hatte befürchtet, sie würden aggressiv und wütend reagieren. Aber ich vermute, über diesen Punkt sind sie hinaus.“

In der Tat. Die BVB-Anhänger, die noch vor wenigen Wochen wegen ihrer kritischen Haltung als „undankbar“ und „verwöhnt“ gescholten wurden, ertragen die Lage nun mit der resignierten Ruhe eines Weltuntergangs-Propheten, auf den man erst hört, wenn der Himmel sich verdunkelt. Zwei Jahre lang haben sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um darauf hinzuweisen, dass mit ihrem Verein etwas nicht in Ordnung ist. Heute gibt es niemanden mehr, der ihnen widerspricht, aber nun ist es zu spät.

Diesen Eindruck scheint auch Bernd Krauss gewonnen zu haben. Eine Halbzeit lang litt er an der Seitenlinie mit und gab verzweifelte Anweisungen. Nach dem 1:2 jedoch zog er sich scheinbar mutlos zurück, als habe er Spiel und Team aufgegeben. Erst nach über einer Stunde reagierte die Dortmunder Bank mit einer halbherzigen Auswechslung (Bobic für Addo) auf die Darbietung ihrer Elf, was den Mut der Südtribüne vollends sinken ließ: Wenn schon der Trainer nichts mehr tun kann oder will, welche Hoffnung bleibt dann noch?

Shoko Doseko jedenfalls hat noch einen wichtigen Termin: „Ich komme im Mai noch mal nach Deutschland“, erklärt die Japanerin. „Ich muss das Derby gegen Schalke sehen. Vielleicht ist es das letzte für lange Zeit.“

Borussia Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Kohler, Dede - Stevic (81. Barbarez), Ricken, Addo (61. Bobic) - Reina, Herrlich (87. But), Ikpeba SpVgg Unterhaching: Tremmel - Bergen - Strehmel, Bucher, Seifert - Haber, Schwarz, Mathias Zimmermann, Seitz - Breitenreiter (81. Hertl), Oberleitner (71. Rraklli) Zuschauer: 61.500; Schiedsrichter: unschuldig; Tore: 0:1 Seitz (7.), 1:1 Ricken (28.), 1:2 Strehmel (49.), 1:3 Schwarz (57.)