Sind die Lehrer faule Säcke?

PRO – Natürlich sind Lehrer faule Säcke, sagt taz-Bildungsexperte Christian Füller. Und arbeitszeitlich überlastet sind sie schon gar nicht. Aber Lehrer sind auch arme Schweine.

1. Lehrer sind in aller Regel Beamte, das heißt unkündbar, staatlich alimentiert und mit einem Kranz von Rechten ausgestattet, von denen das Gros der Arbeitnehmer in der Republik nur träumen kann. Das ist kein Vorurteil. Das ist Fakt.

Außerhalb der großen politischen Arena sprechen auch die vermeintlich so überlasteten Pädagogen Klartext. Der lautet: Die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts kostet viel Zeit – aber nach ein paar Jahren Berufserfahrung arbeiten selbst die Kreativen und Engagierten weniger, als öffentlich behauptet wird. Lehrer sind also von der Arbeitszeit her nicht überlastet.

Diese Wahrheit kann auch kein Beitrag der ARD-„Tagesthemen“ widerlegen, der Lehrer Fleißig ausfindig gemacht hat: Der betreut 40 Computerarbeitsplätze und absolviert außerdem sein normales Lehrdeputat. Den Lehrer Fleißig gibt es, vieltausendfach, überall im Lande – dennoch ist er nicht der Normalfall.

Zum Normalfall gehört, dass Lehrer jene sind, die sich vorzeitig aus ihrem Berufsleben verabschieden. In keinem Beamtenberuf ist das Frühpensionierungsalter so niedrig und die Zahl derer so hoch, die vorzeitig in Ruhestand gehen.

Von daher ist die Berliner Demonstration gegen eine Stunde Mehrarbeit nicht berechtigt – und schon gar nicht der gestrige Lehrerstreik. Die Lehrer streiken ja auch gar nicht wegen der Arbeitszeit. Sie haben die Demo flugs umgewidmet in eine gegen die Bildungskrise im Allgemeinen und die in Berlin im Besonderen. In einem Land, das mit einer Mehrstunde den Stundenschnitt der Republik gerade erst erreicht, gegen diese eine Stunde zu demonstrieren ist nicht gerechtfertigt. Es lenkt die Empörung in die falsche Richtung.

2. Der Spruch „Lehrer sind faule Säcke“ ist so richtig und falsch wie der Tucholsky-Satz, dass Soldaten Mörder seien. Der einzelne Lehrer ist mit Recht empört über die Unterstellung, faul zu sein. In Bezug auf das „System Schule“ steckt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung.

Lehrer sind Teil eines bürokratischen Apparats, den wir durchaus korrekt als „Lehranstalt“ bezeichnen. Die dringende Reform von Schule hieße zuallererst, ihr den Anstaltscharakter zu nehmen. Es würde bedeuten, die Verantwortung für die Organisation des Lernprozesses wieder in die Schule zurückzugeben. Ob zum Beispiel ein Bleistiftspitzer angeschafft wird, darf nicht die ferne Schulaufsicht, sondern muss die Schule entscheiden. Besser noch: der Lehrer. Das heißt: Die Schule müsste radikal entstaatlicht und dezentralisiert werden.

Paradoxerweise sträuben sich dagegen auch und vor allem: die Lehrer. Weil sie sich eingerichtet haben, weil sie ihre Beamten- und Angestelltenrechte verteidigen. Dass ausgerechnet (viele) Lehrer sich gegen eine Reform ihres Dienstrechts und der Schule wenden, ist eine Katastrophe. Nicht nur die Qualität des Unterrichts hängt vom Pädagogen ab – die Schulreform steht und fällt damit, dass die Hauptakteure, nämlich die Lehrer, mitziehen.

3. Wir korrigieren also die Eingangsbehauptung: Lehrer sind nicht faule Säcke, sondern arme Schweine. Denn sie werden nun verantwortlich gemacht dafür, dass die Gesellschaft versucht, mit ihrer alten bürokratischen Apparatur die neue Bildungskrise zu meistern. Nirgendwo tritt gesellschaftlicher Wandel so zugespitzt auf wie in den Schulen. Soziale Verwerfungen (1 Million Sozialhilfekinder), technische Neuerungen (Internet) und eine radikal sich wandelnde Unterhaltungskultur (Medien) sollen in Lehr-„Anstalten“ verstanden, bewältigt und beherrscht werden. Und die Lehrer sollen das alles anleiten. Das ist eigentlich unmöglich. Aber es gibt auch keine andere Wahl. Die elenden Schulen können nicht so weitermachen.

Christian Füller (36) ist Inlandredakteur der taz. Sein Spezialgebiet ist Bildung.