Sabbeln für guten Zweck

■ Zwölf Männer sitzen in kleinen Hütten und nerven ihre Umgebung – die Vielsprecher im Dienste der alljährlichen Bürgerparktombola haben einen stressigen Dreimonats-Job

„Wiiir möchten Sie einladen, meinedamenundherren – einmal Gewinner zu werden bei der aktuellen Bürgerparktombolasonderauslosung – mensch, das wäre doch gelacht, wenn Ihnen das nicht gelingen sollte – es lohnt sich also, aus zwei Mark Einsatz eine ganze, ganze Menge mehr zu machen!“ Drei Monate lang, von Februar bis Mai, stehen die Losbuden der Bürgerpark-Tombola auf den Plätzen der Stadt, aus denen die Passanten mit dem Dauerwerbetext beschallt werden. Und der kommt nicht vom Tonband. Live-Sprecher sitzen in der Gewinnausgabe-Hütte, beobachten das Fußgängertreiben durch ein kleines verspiegeltes Fenster und preisen mit ununterbrochenem Wortschwall ihre Lose an.

Peter Gräfe, 32, sitzt schon seit einer halben Stunde in seinem Kabuff und sieht dafür noch recht entspannt aus. „Am Anfang dachte ich, ganz Bremen hört zu“, beschreibt Gräfe seinen Einstieg. Mittlerweile ist er zum sechsten Mal dabei und gelassener geworden. Mit der Routine sinkt der Stresspegel. Reden ohne Punkt und Komma – das will gelernt sein. Joachim Schimanski, Mitarbeiter der Tombola-Gesellschaft, spricht selbst seit 15 Jahren und ist für die Auswahl der Mitarbeiter zuständig. „Kommunikationsstärke“ müssen Bewerber bei ihm mitbringen. Weitere Voraussetzungen für den Job sind Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Ausdrucksvermögen.

Wer vor Schimanskis Ohren Gnade findet, durchläuft ein begleitendes Einführungsprogramm: Aussprache, Atemtechnik und Betonung lernen die Tombola-Marktschreier bei einem Mitarbeiter von Radio Bremen. Den Rest bringt der Chefsprecher dem Nachwuchs vor Ort selbst bei. „Fertige Texte gibt es bei uns nicht.“ erklärt Schimanski. Die Sätze kommen direkt aus dem Kopf des Sprechers, der sich nur auf ein paar Stichworte stützt. Deshalb erfordert das Permanentreden hohe Konzentration. „Die Neuen halten das höchstens zehn Minuten durch, danach sind die völlig fertig.“ Aber auch die Routinierteren wechseln sich alle halbe Stunde ab.

Und was passiert, wenn der Kopf auf einmal leer ist? „Bei den Anfängern sitze ich neben dem Mikro um notfalls einzuspringen“, sagt Schimanski, „diejenigen, die länger dabei sind, können Aussetzer ganz gut überspielen.“ Aber gegen eine Panne sind auch die Profis nicht gefeit: „Spontane Lachkrämpfe kommen immer wieder vor“, so Schimanski. Da hilft nur: Mikro aus und fertigkichern.

15 Mark verdienen die Sprecher pro Stunde. Lohnt sich der Stress? Peter Gräfe meint ja. Genervt ist er nur vom Druck und der Einseitigkeit der Arbeit. Deshalb überlegt der Wirtschaftsstudent jedes Jahr neu, ob er das Gequassel mitmacht.

Die Tombolasprecher sind ein reiner Männerverein. Das liegt laut Schimanski aber nicht am mangelnden Sprachtalent der Bewerberinnen, sondern an der weiblichen Stimme. Die habe eine ungünstigere Frequenz und weniger Ausdrucksvermögen als eine Männerstimme. „Wenn Sprecherinnen ihre Stimme fordern, klingen sie ziemlich schnell schrill und nervig“, findet Schimanski. Kein Kaufanreiz für die Passanten, und nur darum geht es bei dem Job. Wichtige Grundregel für die Tombola-Sprecher: Politische Aussagen, Wertungen und persönliche Ansprache von Passanten sind Tabu. Die Atmosphäre wird dagegen berücksichtigt: „Wenn die Sonne scheint, reden wir natürlich anders als bei Dauerregen, und Montagmorgens sind die Menschen anders drauf als Samstagnachmittags“, sagt Schimanski.

Und wie sieht der Feierabend der Männer aus, die mit Dauergesabbel ihr Geld verdienen? Peter Gräfe hat kein Problem damit, nach der Sieben-Stunden-Schicht abzuschalten, weiß aber von Kollegen, denen es anders geht: „Die entwickeln dann auch privat so eine Sprechweise und nerven ihren Bekanntenkreis.“ Vor Dienstschluss nerven die Tombolasprecher erstmal ihre Umgebung. Beim Händler nebenan hat sich der Frust aufgestaut: „Von mir aus sollen se sich die Schnauze fusselig reden. Ich bin froh wenn's vorbei ist.“ WiJo