„Metropole und Provinz“

Eine kulturelle Invasion rollt während der EXPO über ein kleines Städtchen namens Hannover. Dessen angestammte Museen und Theater halten wacker gegen und EXPOnieren sich mit einem eigenen teuren Luxus-Kulturprogramm

1889 war es, da lauschte Debussy auf der Pariser Weltausstellung einem balinesischen Gamelanorchester, verzückt - was fürderhin die europäische Musikgeschichte nachhaltig (Achtung: Expo-Vokabel) prägen sollte, zumindest ein bisschen. Welche unerhörten Dinge werden in den 60 Nationenpavillons im Jahr 2000 zu entdecken sein? Und was stemmt dieser sagenumwobene Tom Stromberg (einst entwickelte er im Frankfurter TAT ein neues Gastspiel-Theaterkonzept, jetzt organisiert er das EXPO-Kulturprogramm, dann schwirrt er ab ans Hamburger Schauspielhaus) mit Daimler- und DB-Millionen noch so außer Peter Steins Monster-Faust?

Ehe man auch nur wagt, daran zu denken, sich solche Fragen zu stellen, trommelte der Hannoveraner Kulturdezenent Harald Böhlmann seine wichtigsten Männer (und eine Frau) zusammen, um auf der Werbetrommel für die eigenen Museen, Theater und Festivals kräftig zu pauken. Zu dieser beachtlichen konzertierten Aktion verschickte man 1000 ! Einladungen, und immerhin 60 Journalisten kamen. Zu Recht, denn ab Juni wird mehr geboten werden denn business as usal. Muss auch, „um nicht unterzugehen gegenüber den EXPO-Veranstaltungen“, sagt Carl Haenlein, Chef der renommierten Kestner Gesellschaft. Böhlmann formuliert`s diplomatischer: „Wir stehen nicht in Konkurrenz zur EXPO, wir begreifen sie als Chance.“

Nicht anders als in Bremen nämlich ist auch in Hannover die Kultur eingeklemmt zwischen Sparzwang und niederträchtig-provinziellem Brauchen-wir-denn-das-?-Defätismus - wie zwischen Skylla und Charybdis. Diese beiden Ungeheuer mussten sich jetzt verziehen. Das Festival „Tanztheater international“ etwa wurde schon „zwei- oder dreimal für tot erklärt, kann jetzt aber von keinem Finanzpolitiker mehr wegdiskutiert werden.“ Dieses Jahr kann es gar mit vierfachem Etat wuchern. Und auch das Festival „Theaterformen“, das sich schon mal ganz nach Braunschweig zurückgezogen hatte, konnte sich „fester in dieser Stadt eingraben“, „fester verwurzeln“. Dessen Chef Jörg Scharff pointierter über die Wackeligkeit seines Kulturbäumchens: „Ohne die EXPO würde es uns wohl nicht mehr geben.“

Einhellig wird die EXPO von den Kulturträgern der Stadt zumindest als „strategischer Gewinn“ betrachtet. Mit gigantischen Zuschauermassen aber rechnet keiner. Denn der klassische EXPO-Besucher wird sich entweder Strombergs Kulturangebot reinziehen oder abends tot ins Bett fallen: „Fußlahmheit“ lautet die von den Eventprofis häufig frequentierte Fachtermininologie für dieses Phänomen.

Deshalb auch bietet man zur EXPO keinen Hokuspokus für die große Masse, sondern was für`s kleine, feine“Qualitätspublikum“. Was aber ausgerechnet die auf aktuelle Kunst abonnierte Kestner Gesellschaft nicht davon abhält gleich zweimal auf überstrapazierte Oldies zu setzen: Kokoschka, Klimt, Schiele aus der Sammlung Leopold des österreichischen Staats und Picasso. Immerhin suggeriert man bei Picasso mit dem Leitmotiv „Umarmung“ einen gewissen konzeptuellen Anspruch. ,Ohne die österreichische und spanische EXPO-Gesellschaften wären beide Ausstellungen nicht machbar gewesen“, rechtfertigt Haenlein solcherlei Massenkompatibilität. Auch andere Instituts-Leiter betonen den Nutzen des EXPO-Logos beim Akquirieren von Kulturgütern.

Für seine Retrospektive des deutschen Films konnte das Kommunale Kino Kopien von Faßbinder ergattern, die - für den Laien schwer zu glauben - aufgrund neuer Archiv-Gepflogenheiten kaum mehr aufzutreiben sind. Als EXPOsition zur EXPO betreibt das Kino schon seit drei Jahren systematische Länderkunde: Filme aus dem Iran, Dänemark, Kuba...

Highlights während der EXPO-Zeit? Da das Sprengel-Museum, das ist jener weiße auf einen Podest gestellte Ziegel am Maschsee, schon mal am hässlichen Kurt-Schwitters-Platz steht, zeigt man passend zum Ort „Aller Anfang ist Merz - Von Kurt Schwitters bis heute“ (20.8.-5.11.). Schließlich wird die EXPO hoffentlich ebenso gaga-lustig zusammengestöpselt wie Schwitters rumpelkammerartiger Merzbau. Als Merz-Epigonen treten auf: Arman, Beuys, Cage, Kaprow, Kienholz, Kounellis ... Davor reichen sich mindestens ebenso klangvolle Namen die Hand: August Sander, Karl Blossfeldt, Walker Evans, Man Ray Robert Frank, die Bechers, Cindy Sherman: Unter dem Begriff „How you look at it. Fotografien des 20. Jahrhunderts“ ( 14.5.-6.8.) hat soviel Verschiedenes Platz, dass auch hier wieder eine Art unfreiwilliger Merzbau zu befürchten ist. Hans-Peter Lehmann konnte für die Staatsoper von einer Bank 700.000 Mark mit dem EXPO-Argument locker machen, die nun einer Uraufführung (Gilgamesch von Volker David Kirchner) zu gute kommen. Ein Strauss- und Monteverdi-Zyklus wird fortgesetzt. Das Niedersächsische Landesmuseum dagegen profitierte nicht von der EXPO: „Im Gegenteil. Unser Etat wurde in letzter Zeit zusammengekürzt.“ Connasseure von Museumsgeschichte wird eine Ausstellung um ein einziges Bild, es ist von Hans Holbein, gefallen. Es war in Hannover Besitz, ehe es 1924 in die USA „auswanderte“, als eines der Gründungsbilder der National Galery of Washington, immerhin. Parallel dazu gibt es eine Indianer-Ausstellung.

Auch das Kestner-Museum (Ägyptologie, Antike, Numismatik, Design) hatte kein Glück mit Sponsoren. „Siemens etwa winkte ab, weil sie sich schon auf dem EXPO-Gelände engagierten“, meint Museumschef Wolfgang Schepers. Immerhin zeigte sich wenigstens die Stadt spendabel für die Ausstellung „Das Jahrhundert des Designs“. „Provinz und Metropole“ wird die Ausstellung im Historischen Museum heißen (1.7.-31.1.2001), und es wird wohl das stete Mäkeln an der hässlichsten EXPO-Stadt aller Zeiten gewesen sein, was Museums-Chef Thomas Schwark zu diesem lustig-zerknirschten Thema motivierte. „Wir thematisieren das Image der Stadt in all seiner Problematik.“

Für den Kunstverein Hannover wird sich der Münchner Gerhard Merz, der gerne Räume leerfegt und zu raunend-klassizistischen Weihetempeln deklariert, den riesigen Hauptgüterbahnhof vorknöpfen. Tag und Nacht werden 10.000 Leuchtstoffröhren glimmen - hört sich irgendwie albern rekordverdächtig nach Guinness-Buch an. Beim Festival Theaterformen gibt es über 100 Aufführungen, u.a. Pina Bausch, Peter Brook, Peter Zadeks Hamlet, Figurentheater...

Summa summarum - als Gesamtkunstwerk betrachtet - stellt die geballte Kulturladung der Stadt einen schönen ambivalenten Kommentar dar zum Thema: Freud und Leid von Kultur in Zeiten des Sponsorings. Das Wilhelm-Busch-Museum etwa wurde ein Jahr lang totalrenoviert, weiß aber nicht, wie es in den nächsten Jahren die Folgekosten aufbringen soll. bk

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