dortmunder demut
von WIGLAF DROSTE
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Vielleicht hätte man Vorstand, Trainer und Mannschaft von Borussia Dortmund am vergangenen Montag komplett nach Berlin karren sollen, ins Mommsenstadion, wo Tennis Borussia Berlin 0:4 gegen den VfL Bochum verlor. Die Dortmunder hätten gesehen, wie es ist, vor 3.221 Zuschauern zu spielen. Sie hätten gehört, wie in der Pause Gutscheine für Ölwechsel und Reifenauswuchten verlost wurden. Möglicherweise hätte der Anblick der tiefen Provinz Berlin die Dortmunder geweckt und sie dazu gebracht, noch einmal allen Mut, alles Können und alles Geschick zu mobilisieren, um in der nächsten Saison nicht solche Auswärtsspiele erleben zu müssen. Doch die Möglichkeit, durch Schocktherapie zur Besinnung zu kommen, wurde von Borussia Dortmund ebenso vergeben wie alle anderen Chancen auch. Ausgerechnet die früher so flausenfreien Dortmunder sind zu blasiert, um sich vorstellen zu können, wie nah sie einem Leben in der stillen Verzweiflung der Zweiten Liga gekommen sind.

Zwar hing schon vor dem Spiel der Dortmunder Himmel in Fetzen, aber Uneuphorie und Ernst haben immerhin Würde. Rituell wurde der Cantona-Pin aus Manchester an die Zimmermannsjacke gepeckt und eine besonders vielversprechende „La Gloria Cubana“ aus dem Humidor gepflückt, und die Glücksgöttin rieb den Bauch des Glücksbuddhas, als wär’s ein Wanst aus Parmesan. Das erforderliche Quantum Aberglauben – Tu Gutes, und es wird sich lohnen! – wurde abgerundet durch das Mitnehmen eines Anhalters. Der junge Mann, den wir aufpickten, hatte als Reisegepäck allerdings ein Sportgerät dabei. „Mein Bauchmuskeltrainer“, sagte er stolz. Auf die Frage, was in den Köpfen junger Männer vor sich geht, wollte es wieder einmal keine schöne Antwort geben.

Doch die Frikadellen in der Dortmunder Gaststätte „B-Trieb“ waren besonders liebevoll zubereitet, und das an Dortmundern so angenehme Nichtvorhandensein bayernmünchnerischer Großkotzigkeit hüllte uns ein. Das änderte sich. „Ein Siech muss her!“, forderte Stadionsprecher Norbert Dickel, und Siechtum kam. Nach dem Nulleins durch Unterhaching fühlte ich mich wie in der Matheklausur. Mir wurde flau, der Schweiß brach aus, gleichzeitig stürzte die Körpertemperatur Richtung Packeis, das Herz begann zu rasen. Dieser Zustand blieb bis zum Ende der Klausur konstant, und das Ergebnis war eine Katastrophe.

Man kann Mathe überleben, und man kann schlechte Spiele seiner Mannschaft überstehen. Schwieriger ist es schon mit einem Verein, der in der Pause „als Geschenk an die Fans in der Südkurve“ den Riemen des Grauens auf die Orgel schmeißt: „Ich bin der Anton aus Tirol“. Eine alte Regel besagt, dass man zwar seiner Frau untreu werden darf, niemals aber seinem Club. Im Westfalenstadion werden die Fans unmenschlich hart auf die Probe gestellt – weniger durch Niederlagen und garstiges Gekicke als durch die Instinktlosigkeit, mit der sie beschallt und angeherrscht werden: „Wir brauchen euch jetzt!“ Angemessen sehr still verließen alle das Stadion – aus den Lautsprechern aber quoll „Borussia!“-Gebrüll vom Band. Einen Stil, der in seiner eigenen Abwesenheit besteht, kann man auch in der Zweiten Liga haben, mit Ölwechsel und Reifenauswuchten gratis.