Kahn hat’s am Kopf

Nach dem tumultösen 1:2 gegen den neuen Tabellenführer Bayern interessiert in Freiburg nicht die Niederlage, sondern ob ein Golfball die Legende vom Breisgauer Gut-Fan zerstört hat

aus FreiburgULI FUCHS

Manchmal scheint in Fußballspielen schon während der 90 Minuten eine Ahnung davon auf, dass sie eine Bedeutung erlangen können, die über den Tag hinaus weist. Und auch erfahrene Beobachter sind dann nicht immer gefeit gegen die merkwürdige Anspannung, die sich über Platz und Ränge legt. Ottmar Hitzfeld etwa, der gegen Ende der ersten Hälfte für einen Moment seine gewohnte Contenance ganz und gar zu vergessen schien, als er mit einer unwirschen Handbewegung den Schiedsrichterassistenten zu Seite schob, als der ihn zu mehr Mäßigung ermahnte. Es war keine der Szenen, die nach dem 2:1-Sieg der Bayern im Freiburger Dreisamstadion noch für unendlichen Gesprächsstoff sorgten. Aber eine, die deutlich machte, dass der Thrill der Partie schon da auch den sonst fast körperlos agierenden Münchner Cheftrainer erfasst hatte.

Mit gutem Grund: Sammy Kuffour hatte zu diesem Zeitpunkt seinen Kurzeinsatz wegen einer Notbremse schon lange wieder beendet. Die Freiburger Führung hatte der Münchner Innenverteidiger noch in der Bayern-Mauer miterlebt, die aber genauso das Nachsehen hatte wie Torhüter Oliver Kahn, als Kobiashvilis Freistoß den Weg ins Bayern-Tor fand. Und das war nur der Auftakt zu einem starken Auftritt der Südbadner, die den Münchnern mächtig zusetzten und zum Ende hin einem Sieg näher schienen als der Titelaspirant.

Allein Oliver Kahn (Hitzfeld: „Er hat phänomenal gehalten“) verhinderte mit Paraden gegen den überragenden Freiburger Angreifer Iashvili und einen Distanzschuss von Zeyer mehrfach die erneute Führung der Freiburger. Ob Kahn bei Kobiashvilis Führung zu weit im Torhütereck war und ein einziges Mal an diesem Abend nicht die beste Figur abgegeben hatte, wäre an anderen Tagen vielleicht diskutiert worden beim analytischen Nachgeplänkel. Nicht an diesem. Nicht nachdem die letzten drei Minuten des Spiels für den Münchner Torhüter gleichermaßen zu einem Horrortrip gerieten wie für die Freiburger Zuschauer, Spieler und Verantwortlichen.

Plötzlich war nicht nur der Bayern-Ausgleich durch Jancker nur noch eine Nebensache, sondern auch Schiedsrichter Kemmlings höchst umstrittener Elfmeterpfiff zum späten Sieg der Münchner. Ein von den Stehrängen hinter dem Tor geworfener Golfball traf Kahn am Kopf und mitten hinein in den Mythos vom Freiburger Gut-Fan. Nachdem die Platzwunde am Spielfeldrand getackert worden war, konnte Kahn für die letzten Sekunden des Spiels zwar in seinen Kasten zurückgekehren – die Wunde in der Freiburger Befindlichkeit war weniger schnell zu schließen.

Zumal der dramatische Vorfall zur zynischen Pointe geriet, nachdem der Sport-Club direkt vor der Partie von der Uefa auch für sein faires Publikum geehrt und mit einem Scheck über 12.500 Franken belohnt worden war. „Am liebsten“, sagte Manager Rettig nach dem Spiel, „würden wir diesen Scheck heute Abend noch zurückgeben.“ Er mochte dabei auch daran gedacht haben, dass Kahn schon ein paar Sekunden nach der Ehrung mit Bananenwürfen und Pöbeleien im Tor empfangen wurde. Auch ein angefressener Trainer Finke bekannte, „die Sache langsam leid“ zu sein. Eigens um den Fans die Sicht aufs Feld zu verbessern, hatte man nach deren Protesten das Fangnetz hinter dem Tor durch ein grobmaschigeres ersetzt – und damit unter Umständen den ungehinderten Flug des Wurfgeschosses begünstigt.

Verstellt wurde damit der Blick auf ein Spiel, das eindrucksvoll einem ganz anderen Mythos zuarbeitete – dem von der Freiburger Fußballschule. Angesichts des Spielverlaufs, bekannte hernach auch Ottmar Hitzfeld, „wären wir mit einem Unentschieden zufrieden gewesen“. Den Sieg in Unterzahl reklamierten seine Akteure unisono als Beweis, dass die Bayern für den Schlussspurt im Titelrennen gerüstet sind. Inclusive eines Torhüters, der wie Mehmet Scholl anmerkte, „alles abfängt – nicht nur Fuß-, sondern jetzt auch noch Golfbälle“. Eine Gelassenheit, die auch seine Kollegen teilten. „Wenn einer ausrastet“, betonte Stefan Effenberg, „kann man das jetzt nicht auf alle Fans schieben – die wissen auch, dass sich das nicht gehört.“

Auf dem Spielfeld waren die Münchner noch mit weniger Zurückhaltung aufgetreten. „Den Elfmeterpfiff haben die förmlich herbeigeredet“, klagte Andreas über die verbale Agressivität der Bayern. „Zu Recht“, fand Zeyer, habe Schiedsrichter Kemmling „früh Rot gezeigt – aber danach die Hosen voll gehabt.“ Weil Kemmling den Freiburgern kurz vor dem Wechsel einen klaren Handelfmeter versagte, hätte man auch darüber noch lange sprechen können. An einem anderen Tag. Nicht an diesem.

SCF: Golz - Hermel - Diarra, Müller - Willi (60. Weißhaupt), Zeyer, Baya, Ramdane (82. Ben Slimane), Kobiaschwili - Iaschwili, Sellimi (74. Bruns) FC Bayern München: Kahn - Linke, Jeremies, Kuffour - Salihamidzic, Fink, Sergio (88. Babbel), Effenberg, Lizarazu - Elber, JanckerZuschauer: 25.000 (ausverkauft) Tore: 1:0 Kobiaschwili (10.), 1:1 Jancker (22.), 1:2 Scholl (84./Foulelfer)