„Da könnte man gleich Fingernägel kauen“

Schildkröten, Seepferdchen oder Nashörner – die Nachfrage nach den Bestandteilen traditioneller chinesischer Medizin wächst mit der Wirtschaftskraft der Asiaten. Dabei gibt es kaum Belege dafür, dass die tierischen Substanzen auch tatsächlich wirksam sind

Der Handel mit Süßwasserschildkröten wird in Südostasien in Tonnen pro Tag gemessen. Mit Flugzeugen, Kühlschiffen und Lastwagen kommt der Nachschub auf die Fleischmärkte und landet nur wenig später in den Kochtöpfen: 20 Millionen Schildkröten werden nach Schätzungen der Naturschutzorganisation Pro Wildlife allein in China pro Jahr verschlungen. Hongkong importiert als wichtigste Drehscheibe des internationalen Schildkrötenhandels täglich 30 Tonnen der Panzertiere. Tendenz steigend – denn infolge des Wirtschaftsaufschwungs in Südostasien können sich immer mehr Menschen das begehrte Fleisch leisten.

„Der Schildkrötenhandel ist eines der größten Artenschutzdramen der Gegenwart“, warnt Pro-Wildlife-Biologin Sandra Altherr. Auch das Bundesamt für Naturschutz schlägt bei der Cites-Artenschutzkonferenz, die noch bis 20. April in Nairobi tagt, Alarm: Schon zwei Drittel der Schildkrötenarten seien nachweislich in ihrem Bestand bedroht.

Besonders begehrt und dementsprechend rar ist die Scharnierschildkröte. 2.000 Mark erzielt sie auf den chinesischen Heilmittelmärkten, da ihr Fleisch angeblich Krebs heilen kann. Für Susanne Honnef, WWF-Expertin für traditionelle asiatische Medizin, ist die Scharnierschildkröte nur ein Beispiel von Tierarten, die wegen ihrer Verwendung in der traditionellen chinesischen Medizin vom Aussterben bedroht sind. Sie registriert in ganz Süostasien eine Wiederbelebung traditioneller Verfahren: „Als Alternative zur westlichen Medizin werden traditionelle Mittel zunehmend Statussymbol.“

Bis nach USA und Deutschland schwappt die Popularitätswelle der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) inzwischen. Peter Schink von der Internationalen Gesellschaft für Chinesische Medizin versichert aber: „Wir nutzen grundsätzlich keine Stoffe von geschützten Arten.“ Zweifel an der Wirksamkeit tierischer Stoffe äußern jedoch nicht nur westliche Ärzte: Asiatische Mediziner fanden laut British Medical Journal kaum Studien, in denen die Wirksamkeit traditioneller Heilmethoden belegt wird.

Doch solche Überlegungen setzen sich auf den Heilmittelmärkten Asiens nicht durch. Im Gegenteil: Mit der rasant wachsenden Bevölkerung erhöht sich die Nachfrage nach traditionellen Heilmitteln. Kräuterliköre mit ganzen Seepferdchen gelten in China, Taiwan und Hongkong beispielsweise als Potenzmittel. In den Nachbarländern verkaufen sie sich zu Pulver zerhackt als Arznei gegen Blasenschwäche und Knochenbrüche. Die Folge: 16 Millionen Stück werden nach Studien des Cites-Sekretariats jährlich in Ostasien gehandelt – das entspricht rund 45 Tonnen. Die Populationen der Seepferdchen, die in jahrelanger Treue zu ihren Partern leben und die Aufzucht des Nachwuchses den männlichen Tieren überlassen, haben sich nach Schätzungen der Cites in den vergangenen fünf Jahren deshalb bis zur Hälfte verringert.

Drei der noch existierenden fünf Tigerarten stehen kurz vor der Ausrottung, da asiatische Volksheiler fast jedem Körperteil der Großkatze eine Heilkraft zusprechen. In Indien wird nach Informationen des WWF Lepra mit Tigerfett behandelt, traditionelle Mediziner aus Laos verabreichen Tigerkrallen als Beruhigungsmittel, Tigerzähne zur Fiebersenkung und ihre Nasenhaut gegen Hundebisse. Für Wilderer ist die Jagd auf die restlichen 5.000 Tiger daher ein lohnendes Geschäft.

Nashörner wurden in China schon vor 1.000 Jahren ausgerottet wurden. Als Fieber senkende Malaria-Medizin wird seine Hornsubstanz trotzdem noch so sehr geschätzt, dass ihr Wert den des Goldes mittlerweile übersteigt. Untersuchungen aus Hongkong haben laut des WWF gezeigt, dass Nashornpulver tatsächlich Fieber senken kann. Jedoch nicht in den üblicherweise verschriebenen Dosierungen. „Nägelkauen“ sagt das Schlusswort der Hongkonger Studie, „hätte da die gleiche Wirkung.“

Ob sich der Gedanke des Artenschutzes bei asiatischen Händlern durchsetzen kann, die teilweise nur vom Verkauf ihrer tierischen Ware leben, bezweifelt Honnef „zumindest auf kurze Sicht“. Wichtig sei, dass in den Ländern gleichzeitig mit Artenschutzbestimmungen auch soziale Projekte greifen. Wenn die Mitgliedsländer der Cites-Konferenz sich tatsächlich auf strengere Schutzmaßnahmen für Schildkröten, Seepferdchen oder Tiger einigen, fängt die richtige Arbeit also erst an. KATJA TRIPPEL