Kübel Eiswasser über den Kopf

Politikmodelle im Popzirkus: Chumbawamba agitieren im Mainstream, die Asian Dub Foundation setzt auf Subversion durch Sound.Beide wollen eine Gegenöffentlichkeit zu Cool Britannia schaffen. Doch die Welt ist nicht mehr dieselbe nach dem kommerziellen Erfolg

von THOMAS WINKLER

Was tun, wenn man als anarchistisches Kollektiv plötzlich Millionen von Platten verkauft? Wenn einem die Menschen auf der Straße den eigenen Hit hinterhersummen? Wenn die Plattenfirma ein multinationaler Konzern ist, der schon aus Selbsterhaltungsgründen stetige Steigerungsraten erwartet? Kurz: Was tun, wenn man Chumbawamba im Jahre drei nach ihrem Hit „Tubthumping“ ist?

Warum nicht mal ein Instrumentalalbum? Keine Slogans, keine Parolen – kein einziges Wort, nur Musik. „Keine so schlechte Idee“, findet Jude Abbot, die Trompete und Flügelhorn spielt. Zwischenzeitlich war ihre Band nah dran. Ein Album war so gut wie fertig, das ganz ohne Texte auskam und dessen Songs nur nichts sagende, sinnlose Worte enthielten.

Nun ist die neue Platte da, heißt „WYSIWYG“ (kurz für „What You See Is What You Get“), aber es ist keine Instrumentalplatte geworden. Auch keine Platte mit Songs über berühmte Tote. Die war zwar auch schon zur Hälfte fertig, aber dann stellte man fest, „dass es Müll war“. Sagt Gitarrist Boff Whalley, das zweite Drittel der Abordnung, die Chumbawamba in die Welt geschickt hat, um zu erklären, warum „WYSIWYG“ geworden ist, wie sie geworden ist. Nämlich: fast so eingängig und hitverdächtig wie „Tubthumper“.

Dass Gitarrist und Trompeterin darüber genauso viel erzählen können wie jedes andere der insgesamt acht Bandmitglieder, gehört zum Grundprinzip von Chumbawamba: Jede/r ist für alles zuständig, Diskussion bis zum Konsens.

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Chumbawamba, sagt Aniruddha Das alias Dr.Das, sind schon okay: „Sie haben bestimmte Standpunkte, eine bestimmte Haltung, die sie einem größeren Publikum zugänglich machen wollen.“ Die Politik aber, so Dr.Das, bei der Asian Dub Foundation für Bass und Elektronik zuständig, stecke bei Chumbawamba nicht im Sound.

Bei seiner Band schon. Im Sound von „Community Music“, ihrem dritten Album, in ihrem aus HipHop und Jungle, aus Punk und indischer Klassik zusammengebrauten Stil steckt ihr Dasein in London als Nachkommen von Einwanderern aus Indien und Bangladesh. „Aber es ist keine Fusion“, sagt Dr.Das, „es ist der Sound von verschiedenen Communities, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort existieren. Wenn du das Fenster aufmachst, kannst du alle diese verschiedenen Klänge hören.“

Tatsächlich sei ihre Musik kaum mehr als eine Weiterentwicklung jenes Raumklangs, den die Musiker in ihrem nur unzureichend schallisolierten Übungskeller hören konnten, wenn um sie herum alle anderen Bands spielten. „Das ist das Leben, das ist meine Stadt“, sagt Dr.Das, und: „All das ist politisch, noch bevor wir ein Wort gesagt haben. Unser Sound ist politisch, weil er einen Kommentar abgibt zum Wesen Großbritanniens.“

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Bei Chumbawamba wird dagegen viel geredet. Auf den Platten, in den Booklets, im Studio. Diesmal führte der anarchistische Think-Tank sogar Vorbereitungsdiskussionen zu den Vorbereitungsdiskussionen. Schließlich wird Dunston Bruce als Sänger des Hits zu Hause in Leeds mittlerweile im Supermarkt erkannt. Die Welt ist für Chumbawamba nicht mehr dieselbe.

Abbot und Whalley werden noch nicht im Supermarkt erkannt. „Wir sind ja nur die Backing Band“, lacht Whalley, weil er weiß, dass es im streng demokratischen Kollektiv Chumbawamba eben nicht so ist. Trotzdem: Der Erfolg hat Chumbawamba beschäftigt, musste Chumbawamba beschäftigen. „Wir sprachen darüber, inwiefern wir uns vom Erfolg beeinflussen lassen sollten“, erzählt Whalley, „sollten wir dagegen agieren oder davon profitieren.“ So zogen sich die monatelangen Vorbereitungsdiskussionen über Thema und Inhalte einer möglichen neuen Platte noch länger hin als sonst schon. Wie spielt man Teil des Unterhaltungsbetriebs und bewahrt sich doch die Subversion?

„Wir erreichen jetzt haufenweise Menschen, die wir vorher nicht erreicht haben“, hat Abbot festgestellt. Aber: Mit den Millionen neuer Fans kam neue Verantwortung. Plötzlich predigten sie nicht mehr nur zu den bereits Bekehrten. Also ist ihr mittlerweile zehntes Album „eine typische Chumbawamba-Pop-Platte“ geworden, um die neu gewonnenen Fans nicht vor den Kopf zu stoßen und weiter agitieren zu können. „Wir wollten auch nicht, dass die Leute denken, wir hätten nach dem großen Hit plötzlich Angst vor Pop.“

Die nächste Platte allerdings „wird mit ziemlicher Sicherheit etwas völlig anderes“. Jazz vielleicht oder instrumental. Denn „wir sind besorgt, auf dieses Image als eklektizistische Popband festgelegt zu werden“. Es wäre nicht ihr erster vehementer Stilwechsel.

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Andere Strategie, andere Musik. Asian Dub Foundation verstehen sich und ihren Sound als Produkt von Community Music. Das ist nicht nur der Titel ihres Albums, sondern erst einmal ein Stadtteilprojekt, in dem Menschen, die es sich sonst nicht leisten könnten, Instrumente, Übungsräume, Technik zur Verfügung gestellt wird und sie zum Musikmachen angeleitet werden. Dort hat sich die Asian Dub Foundation gefunden: Einige des Quintetts haben als Tutoren gearbeitet, andere waren Schüler. „Wir hatten nie vor, eine Band zu werden“, erzählt Dr.Das, „Asian Dub Foundation ist ein Mittel, Aufmerksamkeit zu lenken auf Community-Music oder auf die Free-Satpal-Ram-Kampagne“.

Satpal Ram tötete 1986 in Selbstverteidigung einen Rassisten, der ihn angegriffen hatte. Wegen unfähiger Anwälte wurde er von ausschließlich weißen Geschworenen als Mörder verurteilt, seitdem ist er im Gefängnis.

So liegt die Botschaft doch nicht nur im Sound, auch die Songs der Asian Dub Foundation sind vollgestopft mit Slogans und griffigen Formeln. Eine Zeile aus „Real Great Britain“, der ersten Single, lautet: „The suits have changed / But the old ties survive“. Musik als Lehranstalt, das ist in Großbritannien immer noch ein belächeltes Konzept. Deshalb lassen Asian Dub Foundation kaum eine Möglichkeit aus zu betonen, wie uncool man sich selbst finde. Da können sie noch so schicke Sportswear tragen und Rapper Master D aussehen wie ein Bollywood-Star. Bei ihnen reimt sich „cool“ auf „fool“.

Chumbawamba dagegen setzen auf den Charme des Pop. Pop bietet ihnen die Möglichkeit, der Welt zu erzählen, was an ihr Scheiße ist. „In dem Forum auf unserer Website wird immer noch über Politik diskutiert“, erzählt Whalley, „aber der Kreis von Leuten, die mitdiskutieren, ist viel größer geworden.“

Ohne Pop könnten sie kleinen Kindern und alten Säufern nicht erzählen, dass der US-amerikanische Kulturimperialismus von Übel ist, dass sie sich Ally McBeal, Bill Clinton, Rupert Murdoch und noch viele mehr in ein abstürzendes Flugzeug wünschen. Ohne Pop könnten Chumbawamba in der Letterman-Show den Text ihres Hits nicht verändern und so dem Fall Mumia Abu-Jamal eine Beachtung in den USA verschaffen, die viele Demonstrationen nicht erreichen. Ohne Pop wären sie nicht bei der Verleihung der Brit Awards aufgetreten, und Band-Clown Danbart Nobacon hätte nicht dem Tony-Blair-Stellvertreter John Prescott einen Kübel Eiswasser über den Kopf kippen können – vor den Augen der halben Nation.

Sie geben sich alle Mühe, sich treu zu bleiben. In ihre Konzerte kommt man immer noch für gerade unverschämt preiswerte 27 Mark. Bislang ist der Konzern, der ihre Platten herausbringt, sehr kooperativ. Aber bislang ist auch der Erfolg da. „Ich bin nicht dämlich“, sagt Whalley, „das Jazz-Album hätten sie wahrscheinlich nicht rausgebracht.“ Für diesen Fall hat man vertraglich das Recht, zu einer anderen Firma zu gehen. Bisher hat der Erfolg vor allem eines verändert: Wenn es im Winter kalt ist, sind die Finanzen gut genug, einfach die Heizung aufzudrehen. „Das ist wirklich eine unglaubliche Verbesserung“, sagt Abbot.

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Der Erfolg der Asian Dub Foundation und anderer Bands mit Briten asiatischer Abstammung wie Cornershop hat bereits ein gesteigertes Selbstbewusstsein der Community gezeitigt. Andere Bands folgen, sie tragen provokante Namen wie Invasian. Und die Asiaten sind sichtbarer, ihre Probleme werden diskutiert, der Fall Satpal Ram bekommt Publicity. Doch das Problem wird kommen: Noch ist ihr Sound subversiv. Aber auch ohne eigene Anpassung an irgendeinen Zeitgeschmack wird dieser Sound bald Allgemeingut, wird er nur ein Stil unter vielen sein. Schon jetzt passt er sich recht problemlos in die Radio- und Musik-TV-Formate ein. Der Tag wird kommen, an dem auch und gerade Asian Dub Foundation mit dem Problem konfrontiert wird, wie man einen revolutionären Sound mehr macht. Doch noch sieht Dr.Das da keinen Diskussionsbedarf: „Wir haben uns schon immer der Technik bedient und uns der Zukunft zugewandt.“

Im Gegensatz zu Chumbawamba nehmen sich Asian Dub Foundation jederzeit sehr ernst. Sollte die Strategie scheitern, bleibt ihnen nicht der Humor als Rettung, der Zynismus als Fluchtweg oder die drastische Stiländerung. Scheitern sie, bleibt nur die Rückkehr in die Community, zur konkreten Sozialarbeit.

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In einem immerhin sind sich Chumbawamba und Asian Dub Foundation einig. Dr.Das: „Unter Blair hat sich nichts zum Besseren gewendet, manches sogar zum Schlechteren.“ Boff Whalley: „In der Sozialpolitik wird es immer schlimmer. Aber niemand hat es wie Blair perfektioniert, die Medien zu manipulieren.“ So hat Musik die Aufgabe, Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Beide Bands versuchen das auf ihre Weise.

Immerhin endete das letzte Jahr des ausgelaufenen Jahrtausends mit einer Überraschung. In Seattle manifestierte sich eine neue Generation der Protestkultur, und mit Rage Against the Machine kletterte eine dezidierte Politband an die Spitze der US-Charts. Plötzlich schien Politik im Pop und Pop als Politik nicht mehr nur möglich, sondern auch noch erfolgreich.

So packten die englischen Weeklies die von ihnen bislang eher ignorierte Asian Dub Foundation auf die Titelseiten. Tenor: Was die Amis können, können wir schon lange. Und natürlich besser. Agitprop als Britpop-Surrogat?

Der Medienhype hatte kurzfristig Erfolg, „Community Music“ stieg bei Erscheinen kurzzeitig sogar in die Top Twenty des vereinigten Königreichs auf. Nun kann sich der New Musical Express wieder ohne eigenes schlechtes Gewissen fragen: „Wie konnten wir in eine Situation geraten, in der die Bezeichnung politische Band als Beleidigung angesehen wird?“

Gute Frage, aber von kaum mehr als akademischem Interesse. Die viel wichtigere Frage wäre doch: Wie kann Musik tatsächlich politisch werden und als politische Musik funktionieren? Asian Dub Foundation und Chumbawamba arbeiten daran mit verschiedenen Stilen, verschiedenen Strategien und auf verschiedenen Feldern. Aber sie arbeiten immerhin daran.