VON SIEGERN, EHRENWÖRTERN, SCHWARZEN KONTEN UND STASI-AKTEN
: Widerliches Schauspiel

Die Unverfrorenheit der CDU und die Dreistigkeit mancher ihrer ehemaligen Würden- und künftigen Hoffnungsträger wie Helmut Kohl und Roland Koch machen es einem schwer, ihnen dort zuzustimmen, wo sie in der Sache Recht haben. Allzu unmissverständlich haben sie allesamt in den letzten Tagen erkennen lassen, dass sie immer noch meinen, der Staat und seine Institutionen seien eigentlich ihr Eigentum und hätten gefälligst in ihrem Sinne zu wirken. Die neue CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat unter dem Jubel der Delegierten des Essener Parteitags den Finanzskandal ihrer Partei für beendet erklärt. Darüber hinaus teilte sie mit, die CDU habe keine Belehrungen über den Rechtsstaat nötig und sei der Sieger der Geschichte.

Die Sieger der Geschichte bereiten sich gerade auf eine so verdiente wie unabwendbare Niederlage bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen vor. Der ehemalige Bundeskanzler, dessen Lebenswerk Angela Merkel nicht von den „Linken“ beurteilt wissen will, hält weiterhin sein persönliches Ehrenwort für ein höheres Gut als Gesetz und Verfassung. Und in einem pfälzischen CDU-Ortsverband sind schwarze Kassen entdeckt worden.

Nun sind dubiose Finanzverhältnisse in einem Ortsverband wenig aufsehenerregend, und so wurden die schwarzen Kassen in der Pfalz denn auch nur knapp vermeldet. Dabei wären gerade sie einer näheren Betrachtung wert. Angeblich hat doch niemand in der CDU etwas von illegalen Praktiken gewusst. Nicht einmal Helmut Kohl. Wieso haben dann ausgerechnet der Vorsitzende und der Kassierer eines kleinen Ortsvereins beschlossen, ihren illegalen Notgroschen auch nach der Flick-Affäre zu behalten? Reine Eigeninitiative?

Hessens Ministerpräsident Roland Koch möchte vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen, ob das Wahlprüfungsgesetz seines Landes aus dem Jahr 1948 verfassungskonform ist. Koch gewinnt damit vor allem Zeit. Vermutlich genug, um den Urteilsspruch bedeutungslos werden zu lassen, ob das Ergebnis der letzten Landtagswahl wegen der illegalen Finanzierung des CDU-Wahlkampfs annulliert werden muss. Dabei mag Koch angesichts der Zusammensetzung des Gerichts, dessen zwei Berufsrichter der SPD nahestehen sollen, durchaus Grund zu der Befürchtung haben, dass die Juristen nicht unbefangen sind. Aber war denn die CDU bisher ganz unbeteiligt daran, dass die Parteien bei der Besetzung von Richterämtern – bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht – bestimmenden Einfluss gewinnen konnten? Ist das nur dann ein Problem, wenn eine Entscheidung gegen Christdemokraten zu fallen droht? Der Staat gehört eben der CDU. Und somit bei Bedarf auch Roland Koch. Ganz schwierig wird die Lage im Zusammenhang mit den Stasi-Abhörprotokollen und deren Gebrauch im Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre. Der wäre unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten tatsächlich außerordentlich fragwürdig. Es ist bedauerlich – und veränderungsbedürftig – dass Verstöße gegen das Parteiengesetz nicht strafbewehrt sind. Aber sie sind es nun einmal nicht. So lange das der Fall ist, darf das Opfer eines Lauschangriffs nicht einfach deshalb ein weiteres Mal zum Opfer werden, weil die Ergebnisse einer Abhöraktion die Öffentlichkeit gerade besonders interessieren. Wenn der Ausschuss die Protokolle über Helmut Kohl heranzieht, zeigt er damit, wie wenig ihm Persönlichkeitsrechte gelten, sobald sie mit anderen Interessen konkurrieren.

Das Argument seiner Anwälte, Stasi-Protokolle dürften nicht gegen die Opfer verwendet werden, sticht jedoch nicht. Als ob das nicht der Fall wäre, wenn Details über die Mitarbeit von Schülerinnen bei der Staatssicherheit bekannt würden! Als ob das nicht der Fall wäre, wenn jemand einige Monate als IM tätig war, danach aber jahrelang ausspioniert worden ist – und dann die vollständigen Akten über die Medien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden! Als ob das nicht der Fall wäre, wenn Journalisten aus den Akten auch sehr intime Details über das Leben von Tätern wie Opfern erfahren! Zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung hätten die Stasi-Protokolle über Kohl Anlass für eine öffentliche Debatte über einen menschlichen Umgang mit Problemen und Zwängen sein können, die sich aus der deutschen Geschichte ergeben. Stattdessen dienen sie jetzt sehr vielen Politikern als Munition, um die jeweils eigene, scheinheilige Position zu untermauern. Das Schauspiel ist ziemlich widerlich ... BETTINA GAUS