Peter Glotz, Vordenker

Er war der SPD-Vorzeigeintellektuelle und -modernisierer, der stets Erneuerung im „Betriebssystem der Partei“ forderte, bis er sich 1996 nach 35 Jahren aus der aktiven Politik zurückzog. Als brillanter Analytiker und Theoretiker genoss Glotz in der SPD Ansehen, fand aber keine Hausmacht. Er kann von sich behaupten, Bildungsstaatssekretär, SPD-Bundesgeschäftsführer, Wissenschaftssenator in Berlin und Bundestagsmitglied gewesen zu sein.

In den Siebzigerjahren verteidigte Glotz die SPD-Grundlinien des Godesberger Programms gegen linke Widersacher vor allem aus der Juso-Bewegung, die sich am formelhaften und althergebrachten gesellschaftspolitischen Konzept rieben.

Peter Glotz hat Jahre lang die Medienpolitik der SPD dominiert. Mitte der Achtzigerjahre sorgte er für die große Wende von der Ablehnung des Privatfunks zum dualen System. Er war unter anderem Mitglied im ZDF-Fernsehrat, musste das Mandat jedoch 1996 wegen seiner Tätigkeit als RTL-Talkmaster niederlegen.

„Bildungspolitiker, die mehr Geld für Bildung fordern, gibt es wie Sand am Meer. Wenn ich so etwas gesagt hätte, so wären mir vielleicht Blumen gestreut worden, aber man hätte mich nicht diskutiert“, rechtfertigte Glotz seine schmerzlichen Bildungsreformvorschläge. Als bildungspolitischer Sprecher der Fraktion forderte er tausend Mark Studiengebühren. Der Vorschlag wurde nicht nur innerhalb der SPD heftig kritisiert und öffentlich als Privatmeinung dargestellt.

Der 1939 im westböhmischen Eger geborene Glotz studierte in München und Wien Zeitungswissenschaften, Philosophie, Germanistik und Soziologie und promovierte 1968. Vor seiner politischen Karriere war er Geschäftsführer der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationsforschung.

Nach seinem Rückzug aus der Politik wurde er 1996 Gründungsrektor der Erfurter Reformuniversität, die er als „Labor für Neuentwicklungen im deutschen Hochschulwesen“ etablieren wollte. Voriges Jahr verließ er überraschend Erfurt und trat eine Gastprofessur für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen an.

Glotz schreibt zu bildungs-, medien- oder wissenschaftspolitischen Themen unter anderem für die Woche und veröffentlicht regelmäßig Bücher. Sein Dasein als theoretischer Star der Sozialdemokratie hat viel damit zu tun, dass er selbst in den Siebzigerjahren keine antikapitalistische Attitüden pflegte, aber auch mit seinen Büchern, in denen er sich in der Kunst der Zuspitzung erfolgreich versuchte.

Eine Auswahl seiner Titel: Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten!DVA, Stuttgart 1996, 158 Seiten, 24 Mark; Jahre der Verdrossenheit. Politisches Tagebuch 1993/1994. DVA, Stuttgart 1996, 375 Seiten, 37 Mark; Die falsche Normalisierung. Die unmerkliche Verwandlung der Deutschen von 1989 bis 1994. Suhrkamp, Ffm. 1994, 271 Seiten, 19,80 Mark. JAN FEDDERSEN