Kohlrabikunst

■ In Garten-Gemeinschaften lastet Freud und Leid des einsamen Parzellenbesitzers auf mehrere Schultern

Kleingärten. Das zweifelhafte Paradies deutschtümelnder Gartengemütlichkeit, in dem selbst die maximale Wuchshöhe der Gartenzwerge festgelegt ist? Das läßt die Gartenordnung des Landesverbandes der „Gartenfreunde Bremen e.V.“ befürchten. Ein ganz anderes Bild hingegen entwirft die Broschüre „Kleingärtner in sozialer Verantwortung“ des Bundesverbandes. Darin wird von der Integrationskraft des Kleingartenwesens, sowie der selbstverständlichen Praxis von Solidarität und sozialem Handeln geschwärmt. Nach dem Motto: Gärtnern gegen Arbeitslosigkeit und Vereinsamung. Wo also liegt die Wahrheit über das kleine Gartenglück vergraben? Gibt es überhaupt eine Wahrheit?

Die relative Spießigkeit des Kleingärtnerischen lässt sich nicht anhand der Relation von Deutschlandflaggen zu türkischen Vereinsvorsitzenden errechnen. Der Vorsitzende des Bremer Landesverbandes, Hans-Ulrich Helms, verweist jedoch auf die zahlreichen „ausländischen Gartenfreunde“ und die alleinerziehenden Mütter, die sich unter das angestammte Kleingarten-Klientel mischen.

Auch die „GGs“ – Garten-Gemeinschaften passen nicht ins Klischee. GGs haben mit WGs gemeinsam, dass Menschen sich etwas teilen, ohne miteinander verheiratet zu sein. Parallel ist außerdem der relativ niedrige Altersdurchschnitt, der hohe Studierendenanteil, sowie der Unwillen oder das Unvermögen, die Kosten alleine zu tragen, wenn es gemeinsam so viel billiger ist.

Zum Beispiel Horst und Gabi. Gemeinsam mit ungefähr zehn anderen Leuten zwischen 24 und 40 beackern sie seit November 1998 440 Quadratmeter und löhnen als Gruppe jährlich 200 Mark für Pacht und Vereinsmitgliedschaft. Außerdem müssen alle, die den Garten irgendwie nutzen – und sei es nur, um sich ab und an die Sonne auf den Pelz braten zu lassen – monatlich fünf Mark abdrücken. Damit werden neue Blümchen und Baumaterial gekauft – Extra-Späße wie ein Eierpflaumenbaum sind darin noch nicht enthalten. Nach dem Prinzip „JedeR zahlt, was er/sie kann oder will“ und unter Einsatz von Elternkapital wurde dann die einmalige Abstands-Zahlung von 5250 Mark für die baufällige Kaisen-Bruchbude und drei totenObstbäume bewältigt.

„Da sind wir gut verarscht worden“ sagen Horst und Gabi, deren Namen auf eigenen Wunsch geändert wurden, „weil der Vorstand uns eh schon auf dem Kieker hat“. Stress gab es bisher vor allem wegen der Heckenhöhe, die laut Gartenordnung einen Meter zehn nicht überschreiten darf. Begründung: Die Gärten sind öffentliche Grünfläche und das Volk hat damit ein Recht auf den unverwachsenen Blick über den Zaun.

Während der Vorstand extrem pingelig sei, was die Einhaltung der Vorschriften anginge, sind die Nachbarn eher locker, so dass die Einigkeit schon beim „gemeinsamen Lästern über den Vorstand“ entstehe. Am Anfang hätten die Parzellen-Nachbarn zwar misstrauisch den Einzug der Horde beäugt. Deren Sorgen über die vermeintlichen ChaotInnen und potentiellen Unkrautwuchs-BeschleunigerInnen sind aber bei einem Kaffeekränzchen zerstreut worden, bei dem die Neuankömmlinge abchecken wollten, wie die Nachbarn so drauf sind. „Wir haben sogar Rosenblätter auf der Kaffeetafel verteilt – die waren total von den Socken“ erzählt Gabi. Die Nachbarn entpuppten sich schließlich als „supernett, entspannt und weniger spießig als erwartet“. Im Gegenzug hat die GG das Unkraut gut im Griff und gärtnert weniger anarchisch als das Klischee von der Parzellen-Politnase hergibt. Lediglich eine Beet-Eingrenzung in Form eines roten Sterns kontrastiert mit den Waschbetonplatten, Windmühlen und Deutschlandflaggen.

Wie in einer anständigen WG gibt es auch in GGs keinen festen Gieß- und Pflanzplan, alle beteiligen sich jeweils nach Gutdünken an den anfallenden Arbeiten, auch wenn deshalb, wie Horst bemängelt, im letzten Sommer das Giessen an ihm hängen blieb: „Für die meisten ist der Garten nicht erste Priorität – Diplom- und Magisterarbeiten haben Vorrang.“ Gepflanzt wird, was gefällt. „Auch Gladiolen sind kein Problem“, sagt Horst und beweist damit das breite Toleranzspektrum.

Damit nicht alles so ungehindert wuchert wie die „Kohlrabikunst“ in einer Ecke des Gartens, sorgen die regelmäßig stattfindenden „Acker/Racker-Tage“ für Zucht und Ordnung. Dann wird gepflügt, geackert und gesät. Und im nächsten Frühjahr wachsen dann viele, viele kleine Gartenzwerge aus dem Boden. Die tragen keine Zipfelmützen, sondern Kapuzenpullis.

Eiken Bruhn