Grüne Stadt-Inseln

■ Ein Kulturhistoriker untersuchte die Geschichte der Bremer Laubenpieper – und erhielt dafür den Bundeskleingartenpreis

Mit den Händen in der Erde wühlen, den Duft von frischem Gras einatmen und die Seele ein wenig baumeln lassen. Irgendwo zwischen Unkrautjäten und Sonnenstuhl liegt für viele ein Stück vom großen Glück. Rund 20.000 Familien beackern allein in Bremen gerne ihre kleine Scholle. An die 12.000 Hektar Kleingartenfläche kann allein die Hansestadt aufweisen.

Hartwig Stein beackert lieber alte Dokumente. Der Hamburger Geschichtslehrer und Historiker hat sich sieben Jahre mit der Geschichte der Kleingärten beschäftigt. Für seine Dissertation über die Laubenpieper erhielt Stein sogar den Bundeskleingarten-preis des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde (BDG). Bei der Verleihung habe er sich so vergnügt wie Günter Grass in Stockholm gefühlt, erklärt Stein, und schmunzelt.

Die eigene Familiengeschichte brachte den Hamburger dazu, sich mit den Laubenpiepern zu beschäftigten. Schon sein Urgroßvater hatte eine Parzelle. Das Stöbern in alten Familienbildern habe ihn neugierig auf die Kleingärten gemacht, sagt Stein.

In den Hansestädten hat das Grün schon Tradition. In Bremen wurde bereits 1779 der erste deutsche Gartenkatalog gedruckt. Der erste Bremer Kleingartenverein „Flora“ wurde 1885 gegründet.

Offizielle Gründungen gab es in Schleswig-Holstein allerdings schon um 1820: In 20 Städten wurden Armengärten angelegt. Mit der aufkommenden Industrialisierung wuchs auch das Bedürfnis nach einem Stück Natur in der grauen Stadt. Als Gründervater der Gärten gilt Daniel Gottlob Schreber. Das ist ein Irrtum, erklärt Hartwig Stein. Der Leipziger Arzt und Pädagoge Schreber hat sich mit dem Verlust von Spielflächen für Großstadtkinder auseinandergesetzt. Um die Kinder von der Straße zu bekommen, hatte man auch die Idee Kinderbeete anzulegen. „Ein Bankrottunternehmen“, sagt Stein. „Die Kinder hatten keine Lust zu hacken und zu graben, die wollten lieber toben.“ Die Eltern kümmerten sich um die Beete und so verbanden sich Kinderspiel- und Kleingartenbewegung.

Um die Jahrhundertwende wurden mehr und mehr Kleingartenkolonien gegründet. Am Stadtrand und zwischen den Mietskasernen entstanden die Gärtlein der kleinen Leute. In Bremen schlossen sich 1910 die zwölf Vereine zum Landesverband der Gartenfreunde Bremen zusammen. Industriearbeiter, Angestellte und kleine Beamte legten sich auf dem Pachtland ihre Parzelle an. Die ersten Gärten waren wild und chaotisch und die Lauben aus alten Fischkisten oder Eierkartons zusammengeschustert. Die ersten Laubenpieper waren keine Kohlrabi-Apostel oder Zwiebacknasen, meint Hartwig Stein. Im Gegensatz zu vielen Agrar-Romantikern jener Zeit wollten die Kleingärtner nicht zurück aufs Land. Sie wollten ein Stückchen Natur in die Stadt holen.

Eine Idee, die gefiel. Zum Bremer Landesverband zählten 1920 schon 33 Kleingartenvereine. In der Weimarer Republik waren die wilden Kleingartenzeiten vorbei. Mit der Kleingarten- und Pachtlandverordung wurde 1919 das erste deutsche Kleingartengesetz verabschiedet. Nun bekam alles seine Ordnung: Laubengröße, Art der Bepflanzung und Baumbestand waren nun nicht mehr Sache der Kleingärtner. Aber in dieser kurzen Blütezeit wurden die Kleingärten schließlich zu Freizeitgärten. Urlaub auf Insel Grün.

Nach der Weltwirtschaftskrise stand erstmal die Ökonomie im Vordergrund. Obst, Kartoffeln, Bohnen und Tabak wurden angebaut. Die Kriegsgemüsegärten füllten die Mägen der hungrigen Großstädter. Als die Bomben der Allierten fielen, wurden viele Gärten auch zur dauerhaften Bleibe. Hunderttausende schufen sich Behelfsheime in den Parzellen am Stadtrand wie die Kaisenhäuser in Bremen (siehe auch obenstehnden Artikel).

Inzwischen hat sich das Bild der Gärten geändert. Die Bretterlauben sind Standardhäuschen gewichen. „Das Behelfsförmige, das früher charakteristisch war, ist weg. Heute ist es Komfort“, meint Stein. Noch immer reizt die Großstädter ein Fleckchen eigenes Grün. Solange es Mietwohnung gibt, existieren auch Kleingärten, meint der Historiker. Immerhin zeigen Umfragen eine Verjüngung der Gärtner: „Die Leute stellen fest, dass das ganz attraktive Flächen sind und dass man das Spießerimage auch hinterfragen kann.“ Silke Plagge