Die Kunst der Verführung

Wie aus der Liebe eine Angelegenheit von höchster gesellschaftlicher Bedeutung werden kann: Angelin Preljocaj,der potenzielle Chefchoreograf der Deutschen Oper, stellt sich mit seinem Ballett „Le Parc“ erstmals in Berlin vor

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Wir waren in „Le Parc“ und sitzen nun seufzend am Tresen. „Jetzt im Frühjahr“, tröstet uns Johanna, „sind auch wieder mehr Männer auf der Straße.“ Wir nicken und nippen an der sahnigen Colada. Wer das Ballett „Le Parc“ gesehen hat und weiß, dass er die folgende Nacht allein verbringen muss, braucht etwas Süßes und Rauschhaftes als Trost.

Denn bei Angelin Preljocaj ist der Tanz die Kunst der Verführung. Kaum je war ein Ballett so erotisch: Erste Berührungen erhalten das Unerhörte und Sensationelle eines alle Sinne kitzelnden Schauers zurück. Dass der Körper auch von etwas anderem reden könnte als von Verlangen und Begierde, Bedrängnis und Erschöpfung, liegt außerhalb der Mauern dieses Parks.

Dabei geht es nicht um Natur, Trieb und die Liebe als Verstoß gegen gesellschaftliche Konventionen wie sonst so oft in den naiven Handlungsballetten. Vielmehr führt der Choreograf Preljocaj zur Musik von Mozart in eine Kultur, in der die Liebe keine private, sondern eine Angelegenheit von höchster gesellschaftlicher Bedeutung ist. Ihre Sprache ist kodifiziert und differenziert. Alles scheint erfunden, um ihrer Entfaltung zu dienen: die Architektur des Parkes mit ihren weiten Bühnen der Begegnung und versteckten Rückzugsorten ebenso wie die Kleiderordnung.

Reifröcke scheinen gemacht, um wie ein Segelschiff auf Kapertour Parkwege entlangzugleiten und im Eroberungsfall in den eigenen Stofffluten ohnmächtig niederzusinken. Die Kniehosen betonen das Wippen der Schenkel, die Schnallenschuhe das nervöse Scharren der Füße unter dem Stuhl, die Zöpfe folgen den suchenden Blicken und drehenden Köpfen wie kleine Fahnen, die flatternden Rockschöße vergrößern jedes Wedeln des Allerwertesten. Was das Ballett an Attitüden und ports de bras seit Jahrhunderten mit sich schleppt, scheint in diesem erotischen Signalement seinen Ursprung zu haben. Dabei bleibt „Le Parc“ keinesfalls in der Historie stecken.

Es scheint vielmehr, als habe der Choreograf zum höfischen Ursprung des Balletts zurückkehren müssen, um im Bewusstsein dieser Geschichte zur Gegenwart aufzubrechen. Denn in all die hierarchischen Strukturen und geordneten Achsen spiegelt er ein ganz anderes und gegenwärtiges Körper- und Raumkonzept hinein. Da wird der Garten zum Labyrinth und das Partnersuchspiel zur schönsten Demonstration der Chaostheorie. Einer ist immer übrig, rennt los und umkreist das Feld. Dort, wo er einbricht in das Geflecht der Beziehungen, breitet sich Unruhe aus. Erstarrung in Bewegungsfloskeln, macht Preljocaj so schon in den ersten Bildern klar, ist nicht zu befürchten.

Seine Joker sind vier als „Gärtner“ ausgewiesene Figuren, schwarz gekleidet und mit Augenmasken. Sie scheren aus der Mozart-Welt aus und treten zu einer dunkelgewittrigen Klangkulisse von Goran Vejvoda als Prolog zu jedem der drei Akte auf. Ihre Stilisierung verknüpft Bilder der Androiden und Programmierer des menschlichen Spiels aus Filmen, die in der Zukunft spielen, mit den Liebesboten und Faunen der Mythologie. Wenn ihre Bewegungen für Sekunden erstarren und angehalten werden, dann sind die von einem mechanischen Räderwerk angetriebenen Puppen des Barock ebenso gegenwärtig wie die zerhackten Bewegungen des Rappers. Sie halten als gute Dei ex Machina das Getriebe der Liebe in Gang. In einer Nachtszene, in der die Baumstämme des Parks den Pfeilern einer Autobahnunterführung gleichen, helfen sie der Solistin Margaret Illmann, die eben noch im Pas de deux aus jeder Umarmung floh, durch einen liebeshungrigen Traum.

Ihre Hände bilden die Treppenstufen unter ihren Füßen, ihre Schultern die Wand, an der sie entlangstreicht wie eine schnurrende Katze. Sie lassen sie durch die Luft und in schwindelnden Saltos tiefer und tiefer gleiten und fangen sie doch sicher wieder auf. Keine einzelne Liebe kann so schön sein wie dieser rauschhafte Traum von Verschmelzung.

„Le Parc“ ist ein Glücksfall für die Deutsche Oper und das Ballett in Berlin überhaupt. Preljocaj, der aus Albanien stammt und in Frankreich seit 1984 als Choreograf arbeitet, hat das Stück 1994 für die Opéra de Paris entwickelt und dafür den „Prix Benois de la Danse“ erhalten. Er ist als Ballettdirektor oder Chefchoreograf der Deutschen Oper im Gespräch, wenn es zum Umbau der Compagnien aller drei Opernhäuser in das BerlinBallett kommt.

Das Versprechen auf eine Modernisierung der Ballettkultur, die man in dieser Stadt kaum noch zu erhoffen wagte, nimmt mit „Le Parc“ erstmals glaubwürdige Züge an. Allerdings ist nicht nur Berlin an dem Choreografen interessiert.

„Le Parc“, 15., 19. und 25. 4., 19.30 Uhr, Deutsche Oper, Bismarckstraße 35, Charlottenburg