Schlechter Wohnen in der City

Die soziale Situation in den innerstädtischen Problembezirken hat sich weiter verschlechtert. Während es aber in den westlichen Innenstadtbezirken auch in Sachen Bildung düster aussieht, starten hier die östlichen Innenstadtbezirke durch

von SABINE AM ORDE

Als der letzte Sozialstrukturatlas vor drei Jahren erschien und die desolate Lage der Berliner Innenstadtbezirke statistisch untermauerte, brach eine breite politische Diskussion über die Zukunft dieser Bezirke aus. Von sozialem Absturz, von Ghettobildung gar war die Rede. Selbst der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) nahm sich des Themas an und ließ auf mehreren Innenstadtkonferenzen über die Lage dieser Bezirke beraten.

Verbessert hat sich seitdem kaum etwas. Im Gegenteil: Wie der neue Sozialstrukturatlas zeigt, hat sich die Situation in den Innenstadtbezirken weiter verschärft. Doch diesmal bleibt der politische Aufschrei aus.

Trauriger Spitzenreiter unter den Problembezirken der Stadt ist noch immer Kreuzberg, dicht gefolgt von Wedding, Tiergarten, Friedrichshain, Neukölln und Prenzlauer Berg. Diese Reihenfolge hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Allein Prenzlauer Berg hat sich seit 1994 um vier Plätze verbessert.

In all diesen Bezirken ist der Anteil der Menschen, die arbeitslos sind oder von der Sozialhilfe leben, in den vergangenen Jahren weiter gestiegen, das durchschnittliche Einkommen eines Haushaltes fällt dünner aus. In Kreuzberg ist inzwischen jeder Dritte erwerbslos gemeldet, fast jeder fünfte Erwachsene und jedes dritte Kind lebt von Sozialhilfe.

Besonders schlecht sieht der Sozialindex, der unter anderem aus der Höhe der Einkommen, der Arbeitslosen- und Sozialhilfequote sowie der Lebenserwartung im Jahr 1998 errechnet wird, für die Gegend um den Mariannenplatz, die Wiener Straße und den Moritzplatz aus. Fast genauso schlecht schneiden die Karl-Marx-Straße, die Schillerpromenade und die Köllnische Heide in Neukölln ab. In 95 Prozent der Stadt lässt es sich besser leben als hier.

Doch die Situation wird sich weiter zuspitzen. Nach den Daten des Soziastrukturatlas, den das Institut für Gesundheitswissenschaften an der TU gemeinsam mit der Sozialverwaltung erstellt hat, ziehen die Besserverdienenden und junge Familien aus den Problembezirken weg. In den Jahren von 1994 bis 1998 hat jeder 15. Kreuzberger den Bezirk verlassen. Nicht nur deutsche, auch ausländische Familien kehren – wenn sie es sich leisten können – dem Stadtteil den Rücken.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch in den anderen Innenstadtbezirken zu beobachten. Laut Studie sind 46.600 Berliner innerhalb von vier Jahren in „weniger belastete Bezirke“ umgezogen, 23.000 haben die Stadt verlassen. Diese Abwanderung gleichen auch die Zuzüge in die Innenstadtbezirke nicht aus, die allein für junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren attraktiv zu sein scheinen. Insgesamt lebten 1998 13.500 Menschen weniger in den Innenstadtbezirken als noch vier Jahre zuvor. Zugenommen aber hat der Anteil der Nichtdeutschen: 1998 waren es 2.000 Menschen mehr. In Kreuzberg, das weiterhin den höchsten Ausländeranteil hat, hat jeder dritte Bewohner keinen deutschen Pass, in Wedding sind es 30 Prozent, in Tiergarten 28 Prozent.

Nach Ansicht von Sozialsenatorin Schöttler kennzeichnet die Konzentration von wirtschaftlich benachteiligten Gruppen in bestimmten Teilen der Stadt nicht nur Berlin, sondern sei weltweit typisch für viele Großstädte, Metropolen und Ballungsräume. Der Senat habe die Probleme erkannt und „mit den Innenstadtkonferenzen, dem Aktionsprogramm Urbane Integration und vielen Einzelmaßnamen Strategien entwickelt, um hier langfristig Lösungen zu finden“.

Was den Sozialindex angeht, haben also westliche und östliche Innenstadtbezirke ganz ähnliche Probleme – auch wenn es im Westteil der Stadt noch etwas schlechter aussieht. Ganz anders aber liegen die Dinge beim so genannten Statusindex, dem zweiten Faktor im Sozialatrukturatlas. Dabei liegen die Ostbezirke Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte ganz vorn, sie haben die gut situierten Bezirke Zehlendorf und Wilmersdorf von ihren Spitzenplätzen verdrängt. Das bedeutet, dass diese Bezirke eine besonders gute Bildungs- und Ausbildungsstruktur haben, dazu kleine Haushaltsgrößen, wenig Kinder und einen hohen Anteil von Angestellten und Selbstständigen – einen hohen Anteil an karrierebewussten jungen Singles also, wie zu vermuten ist.

„Erstaunlich“ finden die Autoren der Sozialstudie diese Entwicklung der östlichen Innenstadtbezirke. Hier würde, so ihre Erklärung, die die sich wandelnde städtische Struktur deutlich, die Bildung eines neuen Zentrums in der Hauptstadt Berlin. In Prenzlauer Berg, ausgezeichnet durch eine hohe Fluktuation bei der Bevölkerung, läßt sich bereits seit 1994 ein stark gestiegener Anteil höherer Schul- und Berufsausbildungen sowie ein gesunkener Arbeiteranteil in der Bevölkerung feststellen. Auch der Anteil von jungen Erwachsenen und Singlehaushalten nimmt zu, Kinder und Jugendliche dagegen gibt es in dem östlichen In-Bezirk immer weniger.

Die Autoren der Studie gehen deshalb davon aus, dass sich die in Prenzlauer Berg „vorhandenen Bildungspotentiale und die große Anzahl von Singlehaushalten häufig über Arbeitslosen- und Sozialhilfegelder finanzieren“. Das dürfte in den Westbezirken Zehlendorf und Wilmersdorf weniger der Fall sein.