Ein Land, eine Stimme!

Auf der diesjährigen Frühjahrstagung wird der Umbau des Internationalen Währungsfonds debattiert. Der IWF muss zu einer neuen Kultur der Kooperation und Partnerschaft finden

Banken und Fonds müssen nach dem Verursacherprinzip haften

von HERMANNUS PFEIFFER

Ohne linken Zweifel: Der ungeliebte Internationale Währungsfonds (IWF) hat Zukunft, jedenfalls wenn er aus seiner Geschichte lernt. Seit der Asienkrise 1997 wird von links und rechts und auch von mittenmang über den notwendigen Umbau der globalen Finanzarchitektur gestritten. Von Abschaffen bis Ausbauen lauten die diametralen Forderungen. Mit der Berufung des Kohl-Freundes Horst Köhler (CDU) an die Spitze der wohl mächtigsten internationalen Wirtschaftsorganisation beginnt eine neue Runde des Disputs. Er wird auf der Frühjahrstagung in dieser Woche ausgetragen.

Die Deutsche Bank, aber auch der US-amerikanische Monetarist Allan H. Meltzer will eine radikale Verkleinerung des IWF. In der Vergangenheit hatten Meltzer und andere prominente Wirtschaftswissenschaftler sogar eine Abschaffung des Fonds vorgeschlagen. Dieses Maximalprogramm hatte selbstverständlich keine reale politische Chance, bereitete jedoch das Schlachtfeld taktisch vor. Tatsächlich würden viele Neoliberale und Geldkonzerne den IWF jetzt am liebsten zu einer reinen Hilfsbank zurechtstutzen, die nur noch im äußersten Notfall und kurzfristig (staatliche) Liquidität bereitstellt. Am besten ausschließlich an willfährige Staaten mit Bonität. Als Institution soll der IWF intern obendrein klammheimlich privatisiert werden. Statt der Beiträge, die jedes Mitgliedsland aus Steuermitteln zahlt, würde die Finanzierung über den Kapitalmarkt erfolgen. Damit würde die Weltgemeinschaft jedoch auf einem furchtbaren Irrweg wandeln. Stattdessen braucht der IWF – wie sein Pendant Weltbank – eine politische Reform, die auf drei Bausteinen aufbaut.

Der erste Baustein ist die ursprüngliche Aufgabe des IWF, weltweit die Währungen zu stabilisieren. Allerdings muss die aktuelle Rolle des Währungsfonds neu definiert werden. Erinnern wir uns: Der IWF ist als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise und den Weltkrieg 1945 gegründet worden. Übrigens, aus heutiger Sicht unglaublich: Die 45 Gründerstaaten einigten sich damals auf feste Wechselkurse! Würde dieses System noch heute gelten, dann gäbe es keinen Turboabsturz des thailändischen Baht, kein tägliches Schwanken des Dollars, keine Angst vor Euro-Abstürzen. Gerade der Euro zeigt, dass zementierte Devisenkurse auch heute noch funktionieren können.

Der IWF hatte also die Aufgabe, hinter den festen Wechselkursen die kapitalistischen Wechselfälle auszubalancieren. Er stellte seinen Mitgliedern notfalls Kredite, Know-how und Beratung zur Verfügung. Laut Gründungsstatut sollte der IWF Beschäftigung, Einkommen und Entwicklung in „allen Mitgliedsländern“ sichern, wohlgemerkt in „allen“. Heute sind dies 182. In der Gründungsphase lautete das ungeschriebene Motto noch „Kooperation statt Konkurrenz!“.

Das Kooperationsmodell kam in den Siebzigern ziemlich aus der Mode. Grundlegende politische und ökonomische Spannungen hatten sich aufgebaut. Sie lösten sich nur scheinbar mit dem Ende der reformerischen, keynesianischen Nachkriegsära und dem Startschuss zur neoklassischen Offensive. Vorbei war es mit den festen Wechselkursen. Der Dollar dominierte die westliche Welt. Im unkoordinierten Wechselspiel mit den Sozialpolitikern der Weltbank betrachtet sich der Währungsfonds als „Überwacher“ vieler Staaten (IWF-Terminus). Über den ganzen Erdball verbreitet der IWF radikal seinen Drei-Ideen-Kanon aus Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung. Dazu gehören Länderkonsultationen vor Ort; büßen muss, wessen wirtschaftspolitische Konzepte nicht den ideologischen Vorstellungen des IWF entsprechen. Dieses „internationale Regime“ (Rainer Tetzlaff) beschneidet heute die Handlungsspielräume vieler Länder. Mit solcher dirigistischen inneren Einmischung muss Schluss sein. Dies ist der erste Baustein für die Zukunft.

Gebraucht werden Partnerschaft und faire Kooperation. Denn die labile, krisenanfällige Finanzwelt benötigt globale gesellschaftliche Regulierung und Standards. Immer noch hat die Mehrzahl aller Länder keine soliden Bankensysteme. Sie können nur mit der externen Hilfe eines modernisierten IWF aufgebaut werden. Anders als bisher – also seit der neoklassischen Wende der frühen Siebzigerjahre – dürfen Kapitalverkehrskontrollen oder feste Wechselkurse nicht mehr prinzipiell ausgeschlossen sein. Stattdessen sollten sie gegebenenfalls toleriert werden, wenn ein Land diesen Schutz braucht.

Der zweite zentrale Baustein eines reformierten IWF: Private Banken und Fonds müssen nach dem Verursacherprinzip haften. Bisher neigen sie dazu, ihre Risiken auf den IWF und damit auf die internationale Staatengemeinschaft abzuwälzen. Gelassen wird darauf vertraut, dass der IWF als „lender of the last resort“ schon Kapital zur Verfügung stellen wird, während alle privaten Anleger fluchtartig das Land verlassen. Exemplarisch war dies im Sommer 1997 zu beobachten, als die „Tigerstaaten“ in die Krise gerieten. Mit verschuldet war dies von den Banken, die allzu großzügig Kredite an die Schwellenländer vergeben hatten. Trotzdem war damals zu beobachten, dass die staatlichen Hilfsmilliarden des IWF – über den „Umweg“ der Tigerstaaten – prompt in die Konzernkassen der westlichen Gläubiger flossen. Genau diese Gewissheit, dass bei einem Crash die Verluste sozialisiert werden, weil der IWF die Zeche zahlt, hatte erst die Dimension der Krisen ermöglicht.

Mit dirigistischen Einmischungen inden Ländern mussSchluss sein

Wenn diese staatlich finanzierte Risikobereitschaft der Banken begrenzt werden soll, dann bedarf es unter anderem besserer globaler Informationen. Außerdem ist ein IWF-Krisenfonds nötig, der sich aus privatem Kapital füllt – und quasi in Sekundenschnelle als Trouble-Shooter eingreifen kann. Daneben braucht die Welt neuartige Kreditlinien für den IWF, die nicht von den Staaten, sondern von der privaten Finanzwirtschaft schon heute für den Krisenfall von morgen optional bereitgestellt werden – und auf die der IWF jederzeit „kostenlos“ zurückgreifen kann.

Das dritte und letzte Kernproblem ist die interne Machtverteilung. Bill Clinton demonstrierte dies anschaulich, als er den ersten europäischen Kandidaten für den IWF-Chefsessel abblitzen ließ. Erst der frühere Sparkassenpräsident und Staatssekretär Köhler war genehm. Auch im IWF gilt: Wer das Geld hat, hat die Macht. Je größer die Wirtschaftskraft eines Landes, desto größer ist sein Anteil am IWF-Kapital und damit an den Stimmrechten. Der eigentliche Boss heißt daher USA. Mit 17,4 Prozent der Stimmen verfügen sie als einziges Land über eine Sperrminorität. In der Praxis machtlos sind dagegen die 174 wirtschaftlich schwächeren IWF-Mitglieder.

Freilich könnte ein gemeinsames Europa einen deutlich stärkeren Stimmblock ins Rennen schicken als die USA, wenn sich die Europäer nur einig wären. Köhler scheint willens, diese Chance für eine zivile Rundum-Modernisierung des IWF zu nutzen. Dazu gehört auch die Demokratisierung nach der Regel „Ein Land, eine Stimme“.