AKW auf wackeligem Grund

Neues Gutachten beweist: Das stillgelegte Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich ist nicht erdbebensicher. Umweltschützer und Grüne hoffen nun auf das vollständige Aus und wollen die Anlage aus den Atomgesprächen heraushalten

aus Mainz KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Ist das schon der letzte Sargnagel für das AKW Mülheim-Kärlich, wie die Grünen im Landtag von Rheinland-Pfalz gestern mutmaßten? Der von Umweltministerin Klaudia Martini (SPD) mit der Erstellung einer neuen Expertise zur Genehmigungssituation der 1988 stillgelegten Anlage beauftragte Seismologe Frank Scheerbaum ist zu dem Schluss gekommen, dass der Meiler nicht ausreichend gegen Erdbeben gesichert ist. In einem Gutachten aus dem Jahr 1973 sei das Epizentrum eines möglichen Bebens nicht richtig berechnet worden.

Auf Grundlage diesen Gutachtens aber hatte die Landesregierung unter Helmut Kohl (CDU) die erste Teilgenehmigung (TG) erteilt, die das Bundesverwaltungsgericht später wieder aufgehoben hat. Die Experten, so Scheerbaum, hätten damals auch die möglichen Auswirkungen eines Erdbebens der Stärke 6,0 auf den Reaktor unterschätzt. Nach Auffassung der Grünen ist damit auch die von der Betreibergesellschaft RWE neu zur Genehmigung vorgelegte TG (neu 2) obsolet. Diese TG stütze sich nämlich ebenfalls auf das fehlerhafte Gutachten. Zudem entspreche die Anlage – zwölf Jahre nach der Stilllegung – nicht mehr dem neuesten Stand der Technik.

Umso unverständlicher sei es, dass Martini weiter „virtuellen Strom“ aus dem abgeschalteten Reaktor in den Atomkonsens auf Bundesebene „hineindrücken“ wolle, kritisierte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Ise Thomas. Dadurch würden nur die Laufzeiten für die anderen 19 Atomkraftwerke erhöht.

Die sozialdemokratische Umweltministerin blieb auch gestern stur. Sie dealt – mit RWE, weil sie den laufenden Schadenersatzprozess wegen der Stilllegung des AKWs endlich vom Halse haben will. RWE glaubt, diesen Prozess gewinnen zu können. Schließlich habe man das AKW auf der Grundlage einer zwar mit Mängeln behafteten, aber im Grunde doch ordentlichen ersten TG errichtet. Für die Mängel trage alleine das Land die Verantwortung. Die Landesregierung dagegen sieht die Schuld bei RWE. Schon die von den Atomstromern eingereichten Unterlagen seien „fehlerhaft“ gewesen. Das Prozessrisiko ist also für beide Seiten groß. Für Martini offenbar zu groß.

Die Gegenleistung für das eventuelle Einlenken von RWE? Im Rahmen der Atomkonsensgespräche sollen sich die Laufzeiten der anderen AKWs wegen der fiktiven Strommengen erhöhen, die Mülheim-Kärlich in genauso fiktiven 29 Betriebsjahren hätte produzieren können. Der Schrottreaktor Biblis A etwa soll noch zwei Jahre länger laufen, nur damit das SPD/FDP-regierte Land Rheinland-Pfalz ein paar Millionen Mark spart.

„Kirchturmpolitik“ werfen Umweltschützer Martini vor. Biblis liege schließlich nur auf der anderen Rheinseite. Die Grünen haben gestern einen Brief an alle SPD-Bundestagsabgeordneten verschickt. Tenor: Stoppt Martini und verbannt Mülheim-Kärlich aus dem „Strommengenpoker“.