Schiffbruch ohne Palmen

■ Pathetisch: Harald Muellers „Totenfloss“ als Diplomaufführung

Rheinfelsen, Loreley, Domstadt, Köln – im Deutschland einer strahlenverseuchten Zukunft sind von diesen romantischen Chiffren nur noch die Wörter geblieben. Kuckuck (Markus Frank), der früher Fremdenführer auf einem der Ausflugsdampfer war, verwendet sie dann und wann, und es ist nicht sicher, ob er in solchen Augenblicken aus seinem Wahn heraustritt oder erst recht darin versinkt.

Die Konstruktion einer maskenhaften Persona ist für ihn wie seine drei Mitverdammten das Mittel, durch das sich noch im Sterben ein Anschein von Lebendigkeit erhält. Von einer Floßfahrt den Rhein hinab erhoffen sie sich Rettung. Tatsächlich ist ihr Gefährt aber nicht mehr, als in Becketts Endspiel die Mülltonnen: ein Behälter für Menschenschrott.

Harald Muellers Totenfloss, 1987 von George Tabori uraufgeführt, pflegt den schwarzen Humor, droht aber auf den Untiefen von widergekäuter Zeitkritik und 80er-Jahre-Endzeitpathos aufzulaufen. Zum Beispiel das Kauderwelsch aus schlecht parodiertem Jugendslang und Science-Fiction- Vokabular, das der Autor dem Kinderschreck Checker (Sebastian Herrmann) in den Mund legt:„Checker ist toxi-clean“ oder „bang den shitter!“.

Den jungen Diplomanden des Schauspielstudiengangs (Jahrgang 1972 bis 1977) gelingt es, selbst solche Stellen hin und wieder zu retten. Besonders Markus Frank als Kuckuck und Josef Heynert als der blinde Itai beherrschen mit beein-druckender Souveränität den plötzlichen Registerwechsel und sorgen fürgeradezu screwball comedy–artige Passagen.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die vier Absolventen sich möglichst widrige Rahmenbedingungen gesucht haben, um sich als Schauspieler das Schwierigste abzuverlangen. Neben der tendenziellen Seichtigkeit des Textes gehört dazu auch das einfallslose Bühnenbild, das wie die Regie bei der Premiere Buhrufe erntete. Trotz des grossen Einsatzes und der Professionalität des Spiels behält am Ende leider der Text die Oberhand: Mit Bjutys Soliloquium („Meer, das früher war als mein Lied“) mündet er in den Kitsch einer kosmisch-komischen Weltgeborgenheit und bringt das Floß mit einer gezielten Ladung Pathos zum Sinken. Felix Koch

noch heute – Sa, 22.4. + Mo, 24.4. – Mi, 26.4., 20 Uhr, Forum der Hochschule für Musik und Theater, Harvestehuder Weg 12