Wiederholte Befreiung

■ Geiger Mark Feldman und Pianistin Sylvie Courvoisier entzückten im Vegeacker KITO

'n Abend, sagt Feldman. 'n A-bend, echot das Publikum. Ich finde das albern, aber der Amerikaner freut sich'n Keks, dass er die Begrüßung auf Deutsch hinkriegt. Dabei: Viel war da nicht zu begrüßen. Bei Studioaufnahmen dürften mehr Leute zugegen sein. Vielleicht war auch darum das 'secret word for tonight': „obscure“. So sei die Musik der beiden. Und so sei auch das Tokioter Label (ausführender Produzent, selbstverständlich: Mr. John Zorn himself! Wann schläft der eigentlich?), wo die Platte Feldmans/Courvoisiers erschien. Sie trägt den schlichten, aber nicht unpassenden Titel: Music for piano and violin.

Mark Feldman, ein Weirdo vor dem Herrn, ist ein genialer Geiger. Gäb's das Wort 'Vielseitigkeit' nicht, für ihn müssten wir es erfinden. Was seine Projekte verbindet (Masada String Trio, New & Used, Soloprojekte) ist der nie festlegbare, gleichwohl eigene Sound. Kaum jemand sonst springt durch die Traditionen dieses Instruments so selbstverständlich: von Mozart (vielleicht schon Bach) über die romantische Schule, die klassische Moderne und Experimente à la Cage bis hin zu Jazz, Pop und Country. Und in langsamen, dunklen Passagen lauert immer wieder ein Hauch Schostakowitsch. Feldman funktioniert wie ein Sampler, der in immer anderen Formationen eine virtuelle Musikgeschichte ausspuckt.

Und noch etwas ist bemerkenswert: Feldman ist zwar N.Y.-based, doch wie kaum ein anderer aus der heterogenen Szene dort spielt er oft mit europäischen MusikerInnen zusammen. So auch mit Sylvie Courvoisier, Schweizer Pianistin, Jahrgang 1968. Anders als ihre Landsfrau Irène Schweizer scheint ihr Zugang weniger radikal, wenigs-tens beim ersten Hören. Möglicherweise haben sich Kritiker deshalb darauf eingeschossen, ihre Musik „sehr persönlich“ zu nennen. Auch das finde ich albern, denn auf wessen Musik, abgesehen von Britney Spears, vielleicht trifft das nicht zu. Richtig ist aber, dass Courvoisier auf tonale wie atonale, notierte wie improvisierte Elemente der Pianotradition zurückgreift. Ähnlich wie Feldman, und darum passen beide auch so gut zusammen, kennt sie keine Hierarchie. Alles ist gleichberechtigt und verfügbar, U wie E.

Irgendwann schaut Feldman ins Publikum, vielleicht zwanzig Leute sitzen da, und sagt, es müsse wirklich obskur sein, was man da macht. Gleichwohl erscheint, sieht man Geige und Klavier, sofort 'klassische Sonate' auf dem Schirm. Nicht ganz falsch, denn in „Real Joe“ (“It's american slang for a good cup of coffee, a good guy, or it's simply an abstract name for a piece of music.“) scheint urplötzlich eine 'Überschreibung' der c-moll-Sonate eines gewissen Ludwig van Beethoven auf. Obwohl das präparierte Klavier minimalis-tisch so lange Dreiklänge repetiert, bis es nicht mehr nach Klavier klingt, sondern alienesk elektronisch.

Doch die Tradition überlebt nur im Experiment. Und so ist das Stück „Too romantisch“ ein Versuch, erklärt Feldman: Er und Courvoisier haben die Parts getrennt voneinander komponiert und erst nach Fertigstellung zusammengefügt.

Der einzige Set endet nach gut neunzig Minuten mit dem Solostück „Elegy“ aus Feldmans Tzadik-Platte „Music for violin alone“, das durch die brüchigen Melodielinien am deutlichsten sein Verwurzeltsein im Zorn-Umfeld (“Kristallnacht“!) bekräftigt; und mit einer kurzen Improvisation von Courvoisier, die sich noch einmal auf minimalistische Patterns verlegt, um sie durch Harmonisches immer wieder zu brechen. Allein oder zu zweit: es bleibt spannend wie Hitchcock. Tim Schomacker