Das Orgasmusäquivalent

Kausalketten? Muttermünder? Der alte Thales von Milet? Und wozu das alles?Zu Besuch beim 1. Kasseler Komik-Kolloquium „Haben Frauen nichts zu lachen?“

Es ist Donnerstag, der 13. April, und ich verfluche die Wahrheit, für die ich hier sitze und über das 1. Kasseler Komik-Kolloquium zum Thema „Haben Frauen nichts zu lachen?“ berichten soll. Aus dem alten Kasseler Hauptbahnhof sind die Junkies vertrieben worden, die Kultur hat Einzug gehalten und heute mit ihr die Wissenschaften. So sitze ich mit 25 Damen und Herren, die offensichtlich alle selbst Vorträge halten werden, in einem Seminarraum und beneide den Kasseler Oberbürgermeister Lewandowski, der zwar bei der CDU ist, aber trotzdem weiß, wenn er sich abzusetzen hat, und während des Auftaktvortrags verschwindet.

Dieser Vortrag geht über „Komik, Kunst, Gender oder Die Konvergenz der feinen Unterschiede“, und so bekommt der OB nicht mehr mit, wie der Referent den aktuellen Titanic-Titel „Ein neues Gesicht für Angela Merkel“ für geschmacklos und pubertär erklärt, als wenn ein Titanic-Titelbild etwas anderes sein sollte. Der Vortrag endet mit den Worten: „Und wozu das alles? Damit es besser wird mit uns ... Spendet Liebe! Danke.“

Nach einer sehr langen Raucherpause mit Freigetränken nach Wahl geht es doch noch richtig ab. Gerburg Treusch-Dieter (Berlin) erzählt die Geschichte des Mathematikers und Astronomen Thales von Milet, der in den Sternenhimmel schauend in einen Brunnen fällt und daraufhin von der Dienstmagd ausgelacht wurde. Da diese Geschichte von Sokrates und Platon überliefert wurde, ist sie ein schönes Beispiel für männliche Sicht auf weibliches Gelächter. Als die Referentin, eine energiegeladene Dame nicht schätzbaren Alters, die Kausalkette Brunnen – Quelle – Blutquelle – Menstruation – Vulva herstellt, bin ich baff. Von selbst wäre ich nie darauf gekommen, dass Thales in eine Vagina gefallen ist.

Dann beginnt ihr eigentlicher Vortrag „Frauen verlachen – aber haben nichts zu lachen: Zur Geschichte einer Tabuisierung der Lächerlichkeit“ mit den wirkungsvollen Sätzen: „Es gibt kein weibliches Gesicht, sondern nur ein Loch, das zugleich oben und unten ist. Man nennt es Muttermund, der gebiert, wenn er etwas wiedergibt, und nährt, indem er vorher verschlingt. Zwei mit Lachen und Schrecken verbundene Masken umranden dieses Loch, dessen Lippen Schamlippen sind.“ Mir fällt es sehr schwer, dem Vortrag zu folgen, da mich dauernd Worte wie Kopfgeschlecht, Gebärmutterhals und Mundloch irritieren und frage mich, wer genau eigentlich auf die Idee gekommen war, ausgerechnet einen Mann hierher zu schicken. Dadurch verstehe ich zwar nicht richtig, was das alles mit Komik zu tun hat, bin aber auf die hoffentlich reich bebilderte Druckfassung des Vortrags gespannt. Die anschließende Diskussion oder der Diskurs, wie wir Wissenschaftler sagen, verläuft streng nach Regeln: Wer als erster Claude Levi-Strauss sagt, hat gewonnen.

Aber schon geht es mit dem nächsten Vortrag, „Im Lachen der Frauen – mimetisches Stottern“ von Stefanie Hüttinger, (Potsdam) weiter, und ich erfahre, dass man Lachen sogar ein „Orgasmusäquivalent“ nennen kann, „da äußerst ähnliche physische Reaktionen ablaufen (Hormonausschüttung etc.)“. Als sie sagt, dass fast jede Komödie mit der Hochzeit der Hauptakteure endet, frage ich mich langsam, wo ich hier hingeraten bin. Ist das etwa ein Kontakt-Klub für strebsame Karriere-Akademiker? Ich will hier raus!

Aber ich höre weiter zu, wie sie erzählt, dass Lachen eine sexuelle Bedeutung habe (Mundloch!) und deshalb Frauen beim Lachen die Hand vor den Mund halten und Männer nicht. Ich denke an einen Freund, der schiefe Zähne hat, trotzdem eitel ist und deshalb immer beim Lachen die Hand vor den Mund nimmt, und an all die Frauen in meinem Bekanntenkreis, die immer laut heraus lachen. Sollten das etwa alles sexuelle Aufforderungen gewesen sein? Nein, das ist definitiv größenwahnsinnig. Oder auch nur wahnsinnig.

Ich will mich schon melden, doch dann denke ich, dass dann bestimmt jemand Claude Levi-Stuss sagt und ich verloren habe.

„Junge, du hast doch nicht etwa Angst vor Frauen?“, spricht eine vertraute Stimme. (Kein Wunder, es ist ja meine eigene.) „Bisher nicht“, gebe ich zurück, „aber hier hab’ ich den Eindruck, die denken immer nur an Sex und nie an Fußball, Sechszylinder – oder Monty Python.“

Ich beschließe, Kassel sofort zu verlassen, um nicht auch noch der Schirmherrin der Veranstaltung, Dr. Antje Vollmer, zu begegnen, und erfahre daher nichts über den Vortrag „Ironie und Komik in Kafkas ‚In der Strafkolonie‘“ – und was das mit Frauenkomik zu tun hat. NILS FOLCKERS