Gottloser Kampf

Ohne himmlischen Beistand hat Graciano Rocchigiani gegen Dariusz Michalczewski im WBO-Fight keine Chance und verliert vorzeitig

aus Hannover MARKUS VÖLKER

„Die schwarze Sucht des Gehirns: siegen.“ (Bert Brecht)

Es waren viele Nachtgestalten nach Hannover in die Preussag-Arena gekommen, doch die Kinder der Nacht fehlten. Flehentlich hatte man ihr Kommen erbeten, versucht, sie mit hasserfüllter Rede gewogen zu machen. Und man hatte ein Motto für den Kampf um die WBO-Krone im Halbschwergewicht (78,37 kilogramm) ersonnen – „Die Abrechnung“ –, das die geflügelten Wesen locken sollte.

Doch sie kamen nicht. Vor allem Graciano Rocchigiani hoffte gegen Dariusz Michalczewski auf den Beistand der ebenso betagten wie mächtigen Wesen aus der Unterwelt. Brauchte er sie doch so nötig. Erschienen waren aber nur ein paar Hell’s Angels, Naddel und Dieter, Michael und Jessica, nicht aber jene Rache- und Zornesgöttinnen.

Nemesis und die Erinnyen wussten, dass sie in Niedersachsen fehl am Platz gewesen wären. Wen sollten sie auch heimsuchen, wem den gerechten Zorn einimpfen, der die Tabubrecher straft, wem sollten sie den Furor eingeben, Rache für geschehenes Unrecht zu nehmen? Rocky? Kaum. Er wollte allein sein. Tiger? Nein. Er ist kein Metaphysiker.

Also lief der Fight vor 12.000 Zuschauern ohne Überraschungen ab. Michalczewski (31) besiegte den Herausforderer aus Berlin durch technischen K.o. nach Ablauf der neunten Runde. Rocchigiani musste zuvor einen schweren Leberhaken hinnehmen. Sein Coach Emanuel Steward vom Detroiter Kronk-Gym warf aus der blauen Ecke das Handtuch.

Ein unverhofftes Aus. Ausgepumpt und leer beendete Rocky einen Kampf, der längst verloren war. Michalczewski führte zu diesem Zeitpunkt klar nach Punkten. Nur die zweite und sechste Runde ging an Rocchigiani. Schulterzuckend, ohne jeden göttlichen Beistand nahm der 36-Jährige die Niederlage hin. Führten die greisen Kinder der Nacht nicht seine Arme, so blieben die Schläge schlaff, so erlahmten seine Kräfte frühzeitig.

Michalczewski, der erdnahe Pugilist, hatte leichtes Spiel. Auch, weil er seine Fehler aus dem Hinkampf 1996 am Hamburger Millerntor korrigierte. Er hüpfte nicht mehr wie ein Springinsfeld um Rocky herum, ging nicht mehr blindwütig in die Offensive, er boxte bedächtiger, verteidigte erst mal, schnellte dann aus einer sicheren Deckung nach vorn. Und punktete. Gegen einen Rocchigiani, der, wie bekannt wurde, in Übersee die 10 Kilometer locker unter 40 Minuten gelaufen sein soll, dem aber in Hannover schon nach der sechsten Runde die Arme weich wurden.

Ein paar Sympathien flogen dem Sohn eines sardischen Eisenbiegers noch auf der Pressekonferenz zu. Weit nach Mitternacht lieferten sich beide Faustkämpfer ein müdes Wortduell. Michalczewski sagte: „Ich war nicht überrascht, dass Rocky aufgegeben hat.“ Rocchigiani darauf: „Du bist zwar ein dummer Pole, aber du hast heut besser jeboxt.“ – „Ich kann ja nicht länger als zehn Minuten böse auf jemanden sein, und Rocky hat super Werbung für den Kampf gemacht.“ – „Dann bedank dich ooch!“ – „Ich danke dir, ich bin aber froh, dass ich nicht mehr auf dich warten muss. Das war nicht mein größter Kampf, den gegen Virgil Hill stufe ich höher ein.“ – „Daran sieht man, dass du dumm bist, wenn du mal ehrlich bist.“ Auch hier verließ Michalczewski als Sieger die Runde.

Die Wahrheit lag wohl im Ring. Irgendwo dort. Michalczewski fightete gegen den frechen Dummschwatz seines Gegners im Vorfeld mit Verve an, auch gegen die Stimmung in der Arena. Trainer Fritz Sdunek sagte: „Auf die Pfiffe waren wir vorbereitet.“ Und: „Das Nervenkostüm ist immer so stark, wie gut man trainiert hat.“ Offenbar hatte der gebürtige Danziger hervorragend trainiert. So gut, dass er in besagter neunten Runde Rocchigiani zu Boden schickte. Der muss nicht traurig sein. Rocky wird der Aufwand mit drei Millionen Mark entschädigt. So viel Geld bekommt der Weltmeister auch.

Michalczewski wartet nun auf den weltbesten Boxer, Roy Jones aus den Vereinigten Staaten. Ob der Kampf bald zustande kommt, ist fraglich. Obwohl den beiden Leadern der Weltrangliste die Gegner ausgehen, hält Jones den Universum-Clan hin.

Promotor Hans-Peter Kohl erklärte: „Wir werden Jones weiter attackieren. Der möchte am liebsten nicht aus seinem Nest raus.“ Während Jones Angebote von Universum, in Deutschland zu boxen, konsequent ablehnte, will Universum sofort in Übersee kämpfen, sobald ein Wink von Jones kommt.

Auch Rocky will weitermachen. „Man hat mich schon oft abgeschrieben, man soll es wieder tun“, erbat er. „Ick gloob schon, dass ick noch ein paar Kämpfe machen werde.“ Sofern die Kasse stimmt. Ein Detail, das Rocky doch noch einem Götterwesen nah brachte. Es war dies Hermes, Schutzpatron der Kaufleute und Betrüger, ein Halbgott von großer Schlauheit und List, ein Rinderwegtreiber und nächtlicher Späher. Der war da.