Schaum vor dem Mund

Das Münchner Derby zwischen Bayern und 1860 wird mit gewohnter Hitzigkeit geführt, endet aber zum zweiten Mal in dieser Saison mit ungewohntem Ergebnis: einem 2:1 für die Löwen

aus MünchenGERALD KLEFFMANN

Jens Jeremies wollte nicht reden, Giovane Elber und Thorsten Fink ebenso wenig, und als sogar Paulo Sergio, sonst ein auskunftsfreudiger, eloquenter Gesprächspartner, kommentarlos in den Katakomben des Münchner Olympiastadions verschwand, war zu befürchten, dass sich keiner der Fußballprofis des FC Bayern München öffentlich äußern würde an diesem 30. Bundesligaspieltag. Dann aber trat Stefan Effenberg (31), Kapitän, humpelnd vor die wartende Medienschar, strich sich mit der Hand durch das frisch gewaschene, blonde Haar und sprach einige Sätze.

„Es geht mir sehr, sehr schlecht“, sagte Effenberg, und damit war bereits die zweite unerfreuliche Nachricht offiziell geworden, die den FC Bayern an diesem bewölkten Samstagnachmittag in eine kleine Depression stürzte. Effenberg erlitt beim Derby gegen den TSV 1860 München einen Muskelfaserriss in der rechten Wade. Und, was vielleicht noch schlimmer ist: Der Lokalrivale, der ja bereits das Hinspiel gewonnen hatte, siegte mit 2:1.

Es ist schon seltsam, dass, kaum stehen sich beide Vereine gegenüber, pünktlich mit dem Anpfiff allgemeine Hysterie und Hektik entsteht. Auch diesmal war es nicht anders. Es wurde geschubst, getreten, gerempelt, gepöbelt, von der ersten bis zur 90. Minute, und in manchen Phasen wurde die Partie so oft unterbrochen wie ein Basketballspiel in der amerikanischen Profiliga NBA. Sieben gelbe Karten gab es, was die logische Folge zahlreicher verbissen geführter Zweikämpfe war, und dass keiner der Spieler vom Platz flog, wie so oft in den vergangenen Jahren, lag an Schiedsrichter Herbert Fandel, der eine rüde Attacke von Carsten Jancker an Martin Stranzl ungestraft ließ.

Erstaunlicherweise aber war es ein Bayernspieler, nämlich Mehmet Scholl, Freistoßtorschütze zum zwischenzeitlichen Ausgleich, der sich heftig über die Härte im Spiel beklagte: „Das müssen Sie erlebt haben“, erwiderte er gereizt einem Reporter, „wie die mit Schaum vor dem Mund einlaufen.“ Dass Scholl selbst einer der Verwarnten war und auch sonst etwas übereifrig agierte, schien er kurzfristig vergessen zu haben. Aber seine Worte waren ohnehin vielmehr als Ausdruck der Enttäuschung zu verstehen, denn als sachliche Analyse eines Beteiligten.

Man kann die Bayern verstehen. Spielen am Mittwoch in Freiburg, siegen trotz roter Karte und Golfball 2:1 und übernehmen trotzig die Tabellenführung. Der eigene Glaube an den Titelgewinn scheint wieder ungebrochen, man strotzt vor Selbstvertrauen und Zuversicht. Und dann? Kommt das Derby. Und schreibt mal wieder seine eigenen Geschichten. Oliver Kahn und Jens Jeremies zum Beispiel. Beide genießen den Ruf, so zuverlässig wie Schweizer Uhren zu sein, doch ausgerechnet sie verschuldeten den Siegtreffer der Löwen, als Jeremies ins eigene Tor köpfelte. So etwas kann passieren, natürlich. Aber es sollte nicht, wenn man deutscher Meister werden will.

Es gab Erklärungen (Co-Trainer Michael Henke: „So etwas passiert Kahn nur alle 500 Spiele“), Mitgefühl (Effenberg: „Keiner wird an den Pranger gestellt“), Eingeständnisse (Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld: „Das darf einer Spitzenmannschaft nicht passieren“). Geändert haben diese Reaktionen allerdings wenig für die Bayern. Man hat gegen 1860 verloren. Und das, obwohl niemand damit gerechnet hatte, das dieses Missgeschick zweimal in einer Saison passieren könnte.

„Es wird doppelt- und dreifach schwierig“, mutmaßte Kahn bereits etwas desillusioniert, und Babbel, einziger verbliebener Münchner im Derby, verwies darauf, dass momentan nur noch die Hoffnung bleibe, dass Leverkusen „Federn lasse“. Klingt irgendwie anders als das, was Babbel noch vor drei Tagen selbstbewusst gesagt hatte: „Wir wollen unseren Fans einen Sieg gegen 1860 schenken, damit sie am Montag beruhigt zur Arbeit gehen können.“ So gesehen dürfte es heute ziemlich unangenehm zugehen. Bei einigen Arbeitnehmern in Bayern.

Bayern München: Kahn - Jeremies - Babbel, Linke (66. Tarnat) - Salihamidzic, Fink (80. Santa Cruz), Effenberg (41. Jancker), Lizarazu - Sergio, Elber, Scholl 1860 München: Hoffmann - Zelic - Kurz, Greilich (66. Paßlack), Stranzl - Cerny, Häßler, Tyce (46. Prosenik), Cizek (46. Tapalovic) - Max, Agostino Zuschauer: 69.000; Tore: 0:1 Max (22.), 1:1 Scholl (29.), 1:2 Jeremies (40./Eigentor)