Keine Radikalkur

Der Internationale Währungsfonds braucht eine Therapie. Welche, ist umstritten
aus Washington KATHARINA KOUFEN

Mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist es wie mit Zahnärzten: Man hasst sie und trotzdem geht man hin – meistens jedoch erst, wenn es weh tut. Jetzt bräuchte der IWF selbst dringend eine Behandlung – doch noch sind Diagnose und Rezept umstritten. Die Therapievorschläge der letzten Wochen und Monate reichen von „IWF zerschlagen“, wie es noch Mitte letzter Woche Kubas Staatschef Fidel Castro beim G-77-Treffen der Entwicklungsländer in Havanna forderte, bis „den Fonds zu einem schlagkräftigen Instrument in Sachen Finanzmarktregulierung und Armutsbekämfung ausbauen“.

Der Kommunist Castro sprach einer Gruppe von konservativen Republikanern im US-Kongress aus dem Herzen. Im Meltzer-Report, so nach einem der Autoren benannt, fordern sie, die Aufgaben des Fonds privaten Banken zu übertragen. Bei der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank, die vergangenes Wochenende in Washington stattfand, machte Finanzminister Hans Eichel (SPD) deutlich, er halte nichts von solchen Vorschlägen: „Wir setzen uns weiterhin für die Vergabe langfristiger Kredite an Entwicklungsländer ein.“ Die Weltbank sei für Entwicklungsprojekte zuständig und der IWF liefere den makroökonomischen Rahmen. Eichel musste jedoch einräumen: „Ich kann nicht sagen, dass unter den Europäern Einstimmigkeit über die IWF-Reformen herrscht.“

Gerade vor einem halben Jahr ist ein neuer Kredittyp geschaffen worden. Dessen kryptischer Name „Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität“ sagt, worauf der Fonds künftig mehr achten soll: Auf die Armutsbekämpfung. Die Regierung eines Schuldnerlandes muss, wenn es in den Genuss der Gelder kommen will, in einem Strategiepapier deutlich machen, dass das Geld für Schulbücher, Tafelkreide und Gelbfieberspritzen, und nicht etwa für Panzer oder Flugzeuge ausgegeben wird.

Bei einem Treffen afrikanischer Finanzminister im Rahmen der IWF-Tagung kritisierten Teilnehmer den Meltzer-Report. „Die Verfasser sollten in unsere Länder fahren und sich von der Realität überzeugen, bevor sie so etwas schreiben. Wir brauchen die IWF-Kredite“, sagte N’Golo Coulibali von der Elfenbeinküste.

Die Meltzer-Fraktion sieht das anders. Der IWF soll sich aus der Armutsbekämpfung heraushalten, fordert sie. Disziplinierender als die bisherigen wirtschaftspolitischen Auflagen für die Schuldnerländer seien harte Kreditkonditionen: hohe Zinsen, kurze Laufzeiten. Nur noch die ärmsten Länder, die keinen Zugang zu den privaten Kapitalmärkten haben, sollten Geld erhalten – dann allerdings in Form von Zuschüssen.

Der Meltzer-Bericht trifft bei den Republikanern im US-Kongress ins Schwarze. Sie halten den IWF für aufgeplustert und unnütz mit viel zu gut bezahlten Möchtegernexperten, die in der Business Class in die Krisengebiete jetten, wenn es längst zu spät ist. Die Kritik ist auch Teil eines Streits zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus darüber, welche Ausmaße das internationale Engagement der USA in Zukunft haben soll.

Larry Summers, amerikanischer Finanzminister und zweitwichtigster Mann im Lande, will die Macht des Fonds keineswegs beschneiden. Für ihn ist der IWF der verlängerte Arm seines Ministeriums, mit dessen Hilfe inneramerikanische Interessen im Ausland durchgesetzt werden können – etwa bei dem Milliardenkredit 1998 an Russland, bei dem vor allem das Kapital amerikanischer Banken und Fonds, wegen des rapiden Verfalls des Rubels, auf dem Spiel stand.

Kritik schlägt IWF-Reformern aus der Meltzer-Ecke auch von der Weltbank – der für Entwicklungspolitik zuständigen Schwester des Fonds – entgegen. „Dieser Meltzer ist ein sehr gefährlicher Mann“, raunte Weltbankpräsident James Wolfensohn am Samstag vor der Presse. Und Heidemarie Wieczorek-Zeul, die als Entwicklungsministerin gleichzeitig einen Sitz im Direktorium der Bank hat, lancierte eine deutliche Spitze in die gleiche Richtung, als sie sagte: „Nicht die Demonstranten draußen vor der Tür sind die Feinde des IFW und der Weltbank, sondern die Marktradikalen.“

Die Ministerin hat noch einen anderen Grund, der Meltzer-Position zu misstrauen: Der amerikanische Kongress, so befürchteten am Samstag deutsche Regierungskreise, könnte sich die Zustimmung zu seinen Reformvorstellungen dadurch erkaufen, dass er einem Schuldenerlass für hoch verschuldete Entwicklungsländer zustimmt, ein Herzensthema von Wiezcorek-Zeul.

Die Meltzer-Anhänger hätten bei dem Deal gute Karten: Noch fehlt die Zustimmung des Kongresses für den von US-Präsident Clinton so hoch gehängten Erlass der bilateralen, also nur die USA betreffenden Schulden. Und auch in den Trust-Fonds, aus dem der Erlass der Schulden beim IWF und bei den Entwicklungsbanken finanziert werden soll, haben die USA ihren Beitrag von mehreren hundert Millionen Dollar noch nicht eingezahlt.

Einigkeit herrscht indes darüber, private Anleger bei internationalen Währungskrisen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Bislang galt das Prinzip, der IWF wird es schon richten, was zu risikoreichen Investitionen verleitete. Als aber Eichel und Bundesbankchef Ernst Welteke sich am Samstag zu konkreten Maßnahmen äußern sollten fielen die Antworten mager aus. „Kluges Schuldenmanagement“ und eine „kompetente Banken- und Finanzmarktaufsicht“ seien nötig. Auf eine direkte Überwachung von Spekulationsfonds hingegen hätten sich die am Rande der IWF-Tagung zusammengetroffenen G-7-Staaten nicht geeinigt, sagte Eichel. Ein Ergebnis, das auch die Deutsche Bundesbank enttäuscht zur Kenntnis nehmen musste.

Die IWF-Konferenz hinterlässt den Eindruck: Wie auch immer die Diagnose gestellt wird – behandelt wird derzeit allenfalls mit Kamillentee.

Hinweis:Die einen wollen den IWF zerschlagen, die anderen ihn zu einer Armutsbekämpfungs-Organisation umbauen