Ein beknackter Abenteurer

Der Hamburger Musiker Rocko Schamoni liest heute im Mojo-Club aus seinen hemmungslos zusammenfabulierten Memoiren  ■ Von Eberhard Spohd

Es war höchste Zeit, dass die Welt die Wahrheit erfährt. „Ich wuchs in einem kleinen Dorf an der Donau auf, das Saleika hieß. Es gab fünf Dutzend Häuser, allesamt aus dem Holz eines nahen Rotbuchenwaldes erbaut, eine kleine, alte steinerne Kirche und hinter dem Dorf ein riesiges Feld, auf dem sechs Monate des Jahres die größte Kirmes des Landstrichs stand.“ So grausam beginnen die Memoiren von Rocko Schamoni, die unter dem Titel Risiko des Ruhms sich anschicken, die Bestsellerlisten zu stürmen. Und so schlimm wie das Buch beginnt, so grausam war auch das Leben des Hamburger Dandys.

Und das Schönste daran: Alles daran ist erfunden. Der indische Vater, der Bappa genannt wird und ein stolzer und schöner Mensch ist. Die spanischen Brüder. Der korn-saufende Onkel Schoffo. Und auch die Reisen durch die Welt, von der Slowakei nach New York, von Asien nach Paris. Nichts von dem, was in dem Buch steht, – da muss der Leser ganz tapfer sein – ist wirklich so passiert.

Am allerwenigsten entspricht die Geschichte der Hamburger Schule der Wahrheit, die Schamoni am Ende des Werkes erzählt. Weder trägt Jochen Distelmeier eine Nickelbrille mit dicken Gläsern, noch gab sich der Musiker-Zusammenschluss Statuten, in denen Sätze stehen wie „Diskurs ist die zent-rale Lebenspflicht“. Das alles hat Schamoni – er sollte sich schämen! – zusammenfabuliert.

Und zwar mit der Wucht einer Dampframme. Der Hamburger Musiker lässt kein Klischee aus, kein literarischer Topos ist ihm niedrig genug, als dass er ihn nicht einsetzen würde. Dabei changieren die Episoden zwischen harter Männlichkeit, künstlerhafter Schöngeistigkeit und grasierendem Irrsinn. Die Brüche kommen meist unverhofft. Wie aus einem abgetakelten Seelenverkäufer mit einer finsteren Mannschaft auf einmal ein Schiff voller sich gegenseitig zärtlich umkuschelnder Seemänner wird, ist famos erzählt. Selbstverständlich geht der Dampfer mit dem sprechenden Namen „Schwarzer Hahn“ aufgrund der mangelnden Disziplin unter. Das ist natürlich nur Anfang eines neuen Abschnittes im Leben des Autors auf einer einsamen Insel, die dann doch nur eine Halbinsel ist, auf der er zwei esoterische Freundinnen kennen lernt, die er verlässt, weil ihm langweilig wird und er in Asien einen Auftrag erfüllen muss.

„Hohe Literatur ist Risiko des Ruhms nicht und will es auch nicht sein“, würde der bekannte Fernsehfeuilletonist MRR urteilen, wenn er dieses Buch in die Finger bekäme. Das möge der Allmächtige verhüten. Für ihn und die anderen Schöngeister der Literaturkritik wurde es nicht geschrieben, sondern für die Menschen, die auch Schamonis Lieder mit Titeln wie „Ich will Liebe“ lieben. Ein gewisses Verständnis für Alltagskultur und Trash sollte man schon mitbringen, um das wilde Sammelsurium beknackter Gestalten würdigen zu können.

Noch schöner, als das Buch zu lesen, ist, es vorgelesen zu bekommen, am besten von Rocko Schamoni selbst. Die „außergewöhnliche und zufällige Komprimierung des Schicksals“ wirft ihn selbst gleich mit aus der Bahn, und die beim Lesen improvisierten Stellen sind die besten. Ein vergnüglicher Abend ist garantiert, wenn im Mojo heute ein ungewöhnlich aufregendes, erstunken und erlogenes Leben zum Leben erweckt wird.

Lesung: heute, Mojo, 20 Uhr

Rocko Schamoni: „Risiko des Ruhms“, Hamburg: rororo, 2000, 14,90 Mark