110 Tonnen toter Fisch in nur 19 Minuten

■ Kurz vor Ostern wechseln die Schuppentiere den Besitzer wie sonst nur die dreckigen Unterhosen

Bremerhaven – Da ist selbst der Auktionator immer wieder überrascht: Kurz vor Ostern wechseln in Bremerhaven täglich innerhalb von etwa 20 Minuten rund 110 Tonnen Frischfisch den Besitzer. „In diesem Jahr ist die Nachfrage während der Karwoche sehr gut“, meint Bernd Ahrens. Trotzdem rechnet der Leiter der Fischauktion mit günstigen Verbraucherpreisen: „Ein so großes und gutes Angebot wie zurzeit hatten wir schon seit Jahren nicht mehr.“ Selbst im tiefs-ten Binnenland dürfte der Preis beispielsweise für Rotbarschfilet kaum über 30 Mark klettern, meint Ahrens. In den vergangenen Jahren hatte er jeweils weit über dieser Marge gelegen.

Trotz der frühen Morgenstunde drängen sich mehrere Hundert Besucher in der Auktionshalle. Einmal im Jahr, zu Beginn der Karwoche, wird in Bremerhaven sogar auch sonntags frischer Fisch versteigert und dieses Ereignis mit Kaffee und Matjes für die Besucher gefeiert. Der isländische Trawler „Breki“ hatte in der Nacht jene 110 Tonnen Frisch angeliefert, die nun – nach Rotbarsch, Kabeljau, Seelachs, Seeteufel und weiteren Arten sortiert – in 2.200 Kisten auf Käufer warten. Während bis vor wenigen Jahren die gesamte Händlerschar und der Auktionator in der kalten Halle von Kiste zu Kiste gingen, sitzen sie nun in einem geheizten Saal. Denn die Großhändler bieten in der Auktion nicht nur vor Ort mit. Inzwischen bieten sie via Telefon und Internet. Es haben sich sogar Interessenten aus dem Binnenland und auch aus Frankreich bei Bremerhavens Auktionator Ahrens gemeldet.

Das System der Auktion ist aber seit mehr als 100 Jahren unverändert: Ahrens ruft den Einstandspreis auf, 2,50 Mark für ein Kilogramm Rotbarsch, pfennigweise steigt der Wert – wer als Letzter noch den Finger hebt oder am Telefon ist, bekommt den Zuschlag: „Drei Mark und verkauft.“ Bei dem seltenen weißen Heilbutt schnellt der Preis sogar auf 17 Mark pro Kilogramm hoch. Für manchen Zuschauer wird bei dem kaum verständlichen Zahlenspiel die Erinnerung an alte Zeiten wach: „In den 50er Jahren ging das noch ganz anders hier zu“, weiß ein älterer Herr zu berichten: „Bis zu 150 Fischdampfer lagen gleichzeitig im Fischereihafen.“

In diesem Jahr sind es drei. An einem einzigen Tag kamen 10.000 und mehr „Kisten“ mit jeweils 50 Kilogramm in den Verkauf – so viel, wie in diesem Jahr in der ganzen Karwoche. Der Rückgang hat einen triftigen Grund. „Die Isländer als Hauptlieferant von Frischfisch bringen immer mehr Ware direkt in den Handel“, sagt Ahrens. Statt in Bremerhaven landen die Rotbarsch-Filets dann als „Flugfisch“ auf dem Frankfurter Flughafen.

Trotzdem ist Bremerhaven einer der wichtigsten Fischerei-Plätze in Europa geblieben. Der größte Teil des Fisches wird inzwischen tiefgefroren angelandet: Rund 170.000 Tonnen Frostfisch aus aller Welt wandern so in die Produktionsstraßen der örtlichen Großbetriebe, die insgesamt rund 4.000 Mitarbeiter beschäftigen. Rund 13.000 Tonnen Frischfisch, die jährlich über die Bremerhavener Auktion gehen, machen sich dagegen wie ein Stück Folklore aus.

Wolfgang Heumer/dpa