taz-LeserInnen reagieren empört auf die LehrerInnen unterstellte „Faulheit“. Sie fordern Recherche und Differenzierung statt Polemik
: System Schule wird krankgespart

betr.: „Lehrer gehen auf die Straße“, „Sind Lehrer faule Säcke?“ u. a., taz vom 12./13. 4. 00,

[...] Die Arbeitszeit von Lehrern mag kürzer sein als die einer Bürokraft. Es ist eine produktive Tätigkeit, eine kreative Angelegenheit, die sehr viel mit Geben zu tun hat, die Kraft verlangt und damit auch schöpferische Pausen. Es ist ein Beruf, in dem sich Arbeit und „Freitzeit“ nicht eindeutig voneinander trennen lassen. [...] Niemand verlangt von einem Orchestermusiker, dass er 35 Stunden in der Woche geigt.

Die physischen und psychischen Belastungen des Lehrerberufs lassen die Aufrechnungen an Arbeitszeit einfach lächerlich erscheinen. Die jetzigen Arbeitszeitverlängerungen haben auch nichts mit zu wenig oder zu viel an Lehrerarbeit zu tun, sie resultieren ganz einfach aus dem Geldmangel der Länder und aus dem Unwillen, in die Bildung zu investieren. [...]

ISABEL KOCSIS, Düsseldorf

Wirklich prima, wie differenziert und kenntnisreich sich Christian Füller zum Lehrerstreik in Berlin äußert (haben da eigentlich gar keine Lehrerinnen demonstriert?). Dass er dabei über platte Polemik à la Bild-Zeitung nicht hinauskommt, mögen nur zwei Aspekte zeigen: 1. Die hohe Frühpensionierungsrate bei LehrerInnen hängt bekanntlich weniger mit Faulheit, sondern mit den zunehmenden psychischen (und damit auch physischen) Belastungen des LehrerInnenalltags zusammen. 2. Füllers naive Vorstellung, die „Entstaatlichung“ und größere Eigenverantwortung der Schulen könnte den Königsweg zu besserer Bildung darstellen, entbehrt jeder Grundlage. Dies ist zum Beispiel in Hamburg längst Realität. Doch die dringenden Probleme, wie sie Rainer Werner treffend nennt, werden dadurch kaum oder gar nicht gelöst. Zudem: Das verbeamtete LehrerInnen privilegiert sind, ist eine Tatsache. Aber was soll die alberne Vorstellung, sie hätten damit jegliches Recht auf Protest und Forderung nach Verbesserung der Zustände verloren? [...]

CHRISTIANE ARTUS, Hamburg

Leider habe ich nicht ganz begriffen, wieso der Abbau von sozialen und arbeitsrechtlichen Standards Lehrerinnen und Lehrer besser in die Lage versetzen soll, den beschriebenen neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Und dass sich Lehrer statistisch früher als andere Berufsgruppen pensionieren lassen, liegt einerseits im Interesse der Schüler und weist andererseits eher darauf hin, dass Lehrerinnen doch früher „verschlissen“ werden als sonstige Beamte. Ich jedenfalls erinnere mich, in meiner Schulzeit dazu beigetragen zu haben.

ROLF MÜLLER, Trennewurth

[...] Für mich völlig unakzeptabel ist der Artikel von Herrn Füller, in dem fast ausschließlich auf Stammtischniveau über den Berufsstand der Lehrer geschrieben wird. Ich erwarte von einem Journalisten, dass er Behauptungen, die er aufstellt, auch entsprechend recherchiert und differenziert.

Auf gleichem Niveau bewegt sich in meinen Augen auch der spöttische Aufsatz „verboten“ auf der Titelseite der Zeitung. [...]

MICHAEL HOOR, St. Ingbert

[...] Hat Christian Füller schon einmal den Versuch unternommen, sich persönlich von der Lage vor Ort, also an den Schulen, zu überzeugen? Es ist kein Wunder, dass viele Lehrer einfach auf Passivität umgeschaltet haben. Der Graben zwischen ihnen und den Schülern scheint unüberwindlich geworden – nicht zuletzt durch Technologisierung, das heißt die Abrufbarkeit dessen, was eigentlich zum Erfahrungshaushalt gehören sollte. Diese Erfahrungen muss, wie Rainer Werner sehr richtig eine halbe Seite weiter unten ausführt, die Schule leisten – die Voraussetzungen liegen bei einer Änderung des Schulsystems.

„Faule Säcke“ gibt es bei den Lehrern nicht mehr oder nicht weniger als anderswo auch. Die scheinbare Faulheit, das Desinteresse ist tatsächlich meist nichts anderes als Angst und die Kapitulation vor einem der größten Sisiphosbrocken unserer Gesellschaft. [...] ROBERT KÜHN, Gera

Die Hauptstadt wird zum Glanzstück herausgeputzt. Hinter den Fassaden der Schulen nimmt inzwischen der marode Zustand beängstigende Formen an. Nicht nur die Toiletten in vielen Schulen stinken zum Himmel! Das System Schule wird krankgespart: Haushaltssperren, die die Beschaffung von Sachmitteln verhindern; Klassenfrequenzen mit über 30 Schülern wider jedes pädagogische Gewissen; Zusammenlegung von Lerngruppen oder massenhafter Wegfall von Fachunterricht aus Mangel an Lehrkräften; Abiturarbeiten mit Themen, die im Unterricht niemals behandelt wurden; keine Möglichkeit, neue pädagogische Strukturen zu realisieren außer zum Nulltarif.

Jeder Lehrer, der andere Lehrmittel als Tafel und Kreide einsetzt, weiß, dass er einen Teil seines Verdienstes hergibt, um das Notwendige privat zu beschaffen. Das beginnt bereits bei der Bezahlung der Fotokopien für den Unterricht und geht bis zur Ausstattung einer sonderpädagogischen Klasse mit Montessori-Material. [...]

Besonders schlimm ist, dass viele Berichterstatter der Medien nicht einmal ansatzweise sich die Mühe machen, genau nachzusehen, was in der Schule wirklich los ist. Es geht doch gar nicht um diese Stunde. Es geht darum, dass der Senator nicht wahrhaben will, dass in den Schulen schon längst über das angeordnete Maß hinaus engagiert gearbeitet wird, damit der ganze Laden nicht zusammenbricht. Was glaubt er denn, wäre in den Schulen los, wenn jeder wirklich nur seine Arbeit von Amts wegen täte? [...]

GABRIELE STAMER, Berlin

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