Mehr Macht für Leonid Kutschma

Bei einem Referendum votiert eine große Mehrheit der Ukrainer dafür, die Kompetenzen des Präsidenten zu Lasten des Parlaments auszuweiten. Die Opposition spricht von Wahlbetrug und „Hohn der Demokratie“

BERLIN taz ■ Der ukrainische Präsident Leonid Kutschma kann zufrieden sein: Bei der umstrittenen Volksabstimmung vom vergangenen Sonntag hat sich eine große Mehrheit der Ukrainer dafür ausgesprochen, die Vollmachten des Staatschefs zu erweitern und im Gegenzug die Kompetenzen des Parlaments (Verchovna Rada) einzuschränken. 85 Prozent der Wahlberechtigten beantworteten die vier Fragen mit Ja.

Damit erhält Kutschma die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen, wenn die Abgeordneten nicht in der Lage sind, innerhalb eines Monats eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden oder den Haushalt zu verabschieden. Zudem wird das Parlament künftig zwei Kammern haben, von denen die Abgeordneten der zweiten Kammer vom Präsidenten ernannt werden. Die Zahl der Deputierten, deren Immunität abgeschafft wird, reduziert sich von 450 auf 300.

Zwei weitere Fragen hatte das ukrainische Verfassungsgericht vor drei Wochen für verfassungswidrig erklärt. Danach hätte, im Falle eines Misstrauensvotums der Mehrheit der Bevölkerung, das bestehende Parlament aufgelöst und bei einem weiteren Ja die Verfassung künftig per Referendum geändert werden können. Die Beteiligung lag bei 75,28 Prozent. Jetzt muss das Parlament die Ergebnisse noch mit einer Zweidrittelmehrheit absegnen.

Für den Fall einer Weigerung kündigte Kutschma bereits an, das Parlament aufzulösen. „Der Präsident, als ein Garant der Verfassung, wird den Willen des Volkes durchsetzen, wenn sich das Parlament dazu als unfähig erweist“, ließ er wissen. Die Opposition sprach von Wahlbetrug. „Die Fälschungen laufen auf vollen Touren“, sagte Alla Oleksandrivska, Chefin der kommunistischen Partei in der Nordukraine. Zuvor hatte der Führer der sozialistischen Partei, Alexander Moros, die Pläne zur Schwächung des Parlaments als „Hohn der Demokratie“ bezeichnet.

Auch der Europarat, am Tag der Abstimmung mit 70 Beobachtern vor Ort präsent, dürfte das Volksvotum eher mit gemischten Gefühlen verfolgt haben. In der vorvergangenen Woche hatte die parlamentarische Versammlung eine Verabschiebung des Referendums empfohlen und, sollten die Ergebnisse die Verfassung verletzen, mit einem Ausschluss des Landes gedroht. Jetzt ist Straßburg am Zug.

BARBARA OERTEL