Kaufen, halten, verkaufen

Die acht wichtigsten Fragen zu den derzeitigen weltweiten Kurseinbrüchen an der Börse. Und die Antworten

von HANNES KOCH

1. Kommt der Crash doch noch?

Vorher weiß man nie, ob der große Kursrutsch eintritt. Fest steht immer nur hinterher, dass es ihn gegeben hat. 1987 verloren die Kurse rund 25 Prozent an einem Tag. Demgegenüber fällt der Absacker vom vergangenen Freitag, als die US-Technologiebörse Nasdaq knapp zehn Prozent verlor, noch halbswegs moderat aus. Die meisten Beobachter betrachten den gegenwärtigen Rückgang der Kurse eher als „Korrektur“.

Doch auf die Analysten und Börsenspezialisten sollte man nicht unbedingt hören – denn die nehmen das Wort „Crash“ nur höchst ungern in den Mund. Sie verharmlosen die Lage systematisch, um nicht die Katastrophe herbeizureden. Die BörsenarbeiterInnen wollen sich ihr eigenes Geschäft nicht kaputtmachen: Wenn die Kurse steigen, profitieren sie von hohen Provisionen.

Für die Crashtheorie spricht, dass die Aktien vieler Unternehmen völlig überbewertet sind. Die Kurse stiegen rasant, und viele Leute, die wenig oder gar keine Ahnung haben, stürzten sich unlängst in das Börsenspiel. Gegen die Crashtheorie: Die wirtschaftlichen Aussichten in den USA und Europa sind gut.

2. Sollte man seine Aktien jetzt verkaufen?

Antworten wir mit Radio Jerewan: Im Prinzip, ja – wenn man die richtigen Scheine zum richtigen Zeitpunkt losschlägt. Wenn man vor Monaten Aktien billig erworben hat und nun trotz sinkender Kurse noch mit Gewinn abgeben kann, ist der Verkauf eine gute Idee.

Das verhindert, dass der Profit durch den Schornstein geht. Wenn alles zur Ruhe gekommen ist, kann man wieder einsteigen. Wenn die Papierchen schon in die Verlustzone gerutscht sind, sollte man das Orakel von Delphi befragen.

3. Neue Aktien zukaufen?

Für Ahnungslose gilt: Jetzt lieber nicht kaufen, denn die Kurse könnten weiter sinken.

4. Können sich NichtaktionärInnen freuen?

Besitzer von Sparbüchern und Bundesanleihen warten schon Monate darauf, dass den neureichen Aktiennarren die Mütze vom Kopf weht. Häme macht Spaß – besonders, wenn die Werte von festverzinslichen Papieren demnächst wieder steigen, weil Geld vom Aktienmarkt in die traditionellen Anlageformen zurückfließt.

5. Was bedeutet der Kurseinbruch für die Wirtschaft?

Erst mal nicht viel. Wenn allerdings die Kurse weiter absacken, könnte das auch auf den Konsum der privaten VerbraucherInnen drücken. 10.000 Mark weniger auf dem Aktiendepot? Da verzichtet man doch auf den Kauf des gelben Ledersofas, das nebenan so verlockend im Schaufenster steht. Was zunächst nur den Händler stört.

Werden teure Sofas aber zu Ladenhütern, ärgert das irgendwann auch den Möbelproduzenten. Der kommt dann möglicherweise auf die Idee, die geplanten Investitionen zu reduzieren. Fallende Kurse schädigen auf die Dauer die Konjunktur.

6. Was heißt das für die Beschäftigten?

Das Wirtschaftswachstum könnte zurückgehen – und damit auch die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften. Spekulativ steigende Börsenkurse und nachfolgende Krisen bergen die Gefahr, dass die Arbeitslosigkeit steigt.

Arm dran sind die Beschäftigten von vielen Internet-, Software- und Computerfirmen. Oft besitzen sie Aktien ihres Arbeitgebers, die sie als Teil der Entlohnung betrachten. Innerhalb einer Woche kann sich der fiktive Wert eines Arbeitnehmervermögens schon mal um 100.000 Mark reduzieren. Bei anhaltender Kursschwäche gefährdet das die Abzahlung des Eigenheimkredites.

7. Ist die Rente futsch, wenn die Kurse bröckeln?

In Deutschland nicht. Denn hier kommen die meisten Renten aus der staatlich organisierten und garantierten Sozialversicherung. Anders sieht es in den USA und Großbritannien aus. Viele Beschäftigte legen dort einen Teil ihres Geldes in Pensionsfonds an – und die investieren an den internationalen Finanzmärkten unter anderem in Aktien. Schwächeln die Börsen lange, könnte das durchaus die Auszahlung der Renten in Frage stellen.

8. Muss man die Börsenspekulation politisch eingrenzen?

„Ja“, sagt das am vergangenen Samstag neu gegründete „Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte“, das aus entwicklungspolitischen und kirchlichen Organisationen besteht. Die Bundesregierung solle die auch hier zu Lande geplante teilweise Privatisierung der Alterversorgung verhindern. Das Netzwerk fordert außerdem die Abschaffung von Steuerparadiesen wie auf den Cayman-Inseln. Dort werde nicht nur Geldwäsche und Steuerhinterziehung betrieben. Die dort ansässigen Fonds würden zudem Milliardensummen in spekulative Blasen investieren und ganze Volkswirtschaften destabilisieren.