„Jetzt ist alles noch so neu“

Vor zwei Jahren hatte der Vater sein Kind entführt. Nun lebt Ahab wieder bei seiner Mutter – die den Moment fürchtet, an dem ihr Mann das Gefängnis verlässt  ■ Von Elke Spanner

Er hat sie „Mama“ genannt, gleich von Anfang an. Beim Telefonat in jener Nacht, als Ahab endlich in der Deutschen Botschaft in Damaskus war und den Hörer in die Hand gedrückt bekam, da fragte er: „Mama, bringst Du mir Spielzeug mit?“ Damit hatte Fatima nicht gerechnet. Es hatte sogar Momente gegeben, in denen die 21-jährige glaubte, sie werde ihren Sohn nie mehr wiedersehen. Oft genug hatte ihr Ex-Mann damit gedroht, nachdem er vor zwei Jahren das gemeinsame Kind aus Hamburg entführte. Jetzt toben Fatima und Ahab gemeinsam durch das Zimmer, als sei es nie anders gewesen.

Ahab war ein Jahr alt, als sein Vater Ashraf M. ihn im März 1998 entführte. Zwei Monate zuvor war Fatima vor dessen Gewalttätigkeiten ins Frauenhaus geflohen. Ashraf erstritt sich ein Besuchsrecht vor Gericht. Beim ersten Treffen flog er mit Ahab in den Nahen Osten. Genaues Reiseziel: Unbekannt. Ashraf kam allein zurück. Erst in diesem Januar wurde bekannt, dass er das Kind seiner eigenen Mutter in Damaskus übergeben hatte. Als Fatima diese kurz nach der Entführung angerufen und nach ihrem Sohn gefragt hatte, hatte die Schwiegermutter sie nur beschimpft, sie sei eine Schlampe, weil sie ihren Mann verlassen hatte.

Ashraf sitzt heute im Gefängnis, drei Jahre und vier Monate wegen Kindesentzug. Eindringlich hatte der damalige Richter am Hamburger Landgericht im Dezember 1998 auf ihn eingewirkt, alles dafür zu tun, dass Ahab zu seiner Muter zurück kommt. Dann und auch nur dann, hatte er gemahnt, könne er vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Einen Antrag auf vorzeitige Entlassung hat Ashraf nun tatsächlich gestellt. Doch dass das Kind wieder bei seiner Mutter lebt, ist nicht seinem Engagement, sondern der Ex-Freundin von Ashrafs Bruder zu verdanken. Die rief eines Tages im Frauenhaus an und legte Mitarbeiterin Susanne Hausmann bei einem Treffen Fotos von Ahab vor.

Beim Prozess gegen Ashraf hatte die Frau noch auf der Zuschauerbank laut mit dem Bruder über Fatima hergezogen. Wenige Monate darauf war sie mit ihrem damaligen Freund nach Damaskus gereist und hatte Urlaubsfotos aufgenommen, sie und Ahab, der Bruder und das Kind. Fatima, die Mutter, hatte zu der Zeit keine Ahnung, wo ihr Sohn lebt.

Erst als ihre Beziehung in die Brüche ging, verriet die Frau, wo Ahab ist. „Sie will sich eigentlich an Ashrafs Bruder rächen, und das kann sie gut, indem sie hilft, das Kind zurückzubekommen“, sagt Hausmann. Als Ahabs Aufenthaltsort im Januar bekannt war, zogen die deutsche Botschaft, Interpol und die syrische Polizei plötzlich an einem Strang. Ashrafs Mutter wurde kontrolliert, damit sie keine Gelegenheit haben würde, Ahab zu verstecken. Ein Anwalt beantragte für Fatima das syrische Sorgerecht für das Kind. Das wurde ihr Mitte März übertragen. Fatima flog nach Damaskus – und musste anschließend einen weiteren Monat warten, bis endlich der Innenminister seine Unterschrift unter ein Formular gesetzt hatte, das die Polizei berechtigte, Ahab von Ashrafs Mutter herauszuverlangen. Vier Tage später dann nahmen syrische BeamtInnen das Kind an sich und übergaben es der deutschen Botschaft.

Seit jener Nacht vor einer Woche liegt ein Lächeln auf Fatimas Gesicht, was auch immer sie erzählt. Außer, wenn die Sprache auf Ashraf kommt. „Er hat verloren. Das muss ihn wahnsinnig wütend machen“, sagt sie. Fatima ist überzeugt, dass er alles daran setzen wird, das Kind erneut zu bekommen. Nur für kurze Momente verlässt sie zurzeit mit Ahab das Haus, aus Angst, dass Ashrafs Freunde oder Verwandte nach ihr und dem Kind suchen. Doch sie weiß, dass sie sich auf Dauer nicht verstecken kann. Und sie weiß auch, dass Ashraf eines Tages das Gefängnis verlassen wird, vielleicht in den nächsten Wochen, spätestens nach vollständiger Verbüßung seiner Haft. Aber vielleicht, so hofft sie, bleibt ihr zumindest noch etwas Zeit, bis sie und ihr Sohn sich wieder richtig aneinander gewöhnt haben. Erst mal muss sie nun ihr Leben mit Kind neu planen, und „sich zusätzlich schützen zu müssen, ist eine enorme Belastung“, weiss Hausmann. Fatima stimmt zu: „Ich habe Ahab doch erst seit einer Woche bei mir“, sagt sie. „Jetzt ist alles noch so neu“.