Vollversorgung am Stadtrand

Im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln hat sich das Estrel zum größten Hotel- und Kongresszentrum Europas gemausert. Hier tagt die SPD und verliert Boxweltmeister Klitschko seinen Titel. Die vom Land gebauten Großhallen haben das Nachsehen
von ANNETTE ROLLMANN

Es ist nicht gerade der Ort von Geld und Glamour. Zwischen Schrottplatz und Gewerbegelände, zwischen Kleingartenkolonien und Finanzamt, hat Ekkehard Streletzki vor 6 Jahren das Vier-Sterne-Hotel Estrel gebaut. Mitten im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln.

Mit dem Komplex, viel geschmäht als U-Boot und Bunker, hat der 59-Jährige eine Erfolgsgeschichte geschrieben. Hier traf sich im Dezember die SPD zum Bundesparteitag. Im April verlor der ukrainische Box-Weltmeister Witali Klitschko im scheinschönen Las-Vegas-Ambiente seinen Titel an den Amerikaner Chris Byrd. Und DaimlerChrysler wird im Sommer die Jahrestagung seiner Top-Manager abhalten.

Seit im vergangenen Oktober die Kongressfläche auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt wurde, ist der Hotel-Kongress-Komplex der größte in Europa. „In diesem Jahr werden wir mit Sicherheit das umsatzstärkste Hotel in Deutschland werden“, prognostiziert Streletzki. Das Haus mit 1.225 Zimmern ist fast immer ausgebucht. Oft überbucht. „Manchmal müssen wir 200 Übernachtungsbuchungen mal eben an die Konkurrenz abgeben“, freut sich Pressesprecherin Türkan Gülpepe. Das Prinzip des Erfolgs heißt: Alles unter einem Dach.

In dem Hotel steigen vor allem Kongressteilnehmer und Geschäftsleute ab. Hier veranstalten Firmen ihre Jahreshauptversammlungen, Händler bauen ihren Messestand in der multifunktionalen Convention Hall auf, die pro Tag 45.000 Mark Miete kostet. Keine Halle in Berlin bietet dieses Vielseitigkeit und Grundausstattung: Akustikwände, Übersetzerkabinen und natürlich modernste Lichttechnik. Sehr ungewöhnlich: Zum Abladen von Gerätschaften können Lkws direkt in die Halle fahren.

Das Erfolgskonzept kommt aus den USA

„Das Prinzip, Hotel und Kongress in einem, habe ich mir in den USA abgeschaut“, sagt Streletzki, der zwischen Las Vegas und Chicago hin und her gereist ist. Weder für die Pizza am Mittag noch für den Champus am Abend muss der Manager die Welt des Estrels verlassen. Müssen Kongressteilnehmer sonst den ganzen Tag in schlecht gelüfteten Hallen verbringen und ihre Müdigkeit mit vielen Tassen Kaffee an engen Bistrotischen verjagen, „kann man im Estrel in der Tagungspause seine Beine mal hoch legen. Man drückt auf den Aufzugsknopf und ist im Hotelzimmer“.

Und die Lage? „Wenn sie Berlin mit der Lupe absuchen. Sie werden keinen besseren Standort finden“, sagt Streletzki. „In Amerika sind solche Hotels nie in Innenstädten, sondern nur an gut erreichbaren Ausfallstraßen.“

Mit dem Erfolg stiehlt das Estrel den anderen Hallen und Hotels der Stadt die Show. Die im Zuge der Olympiabewerbung für rund 750 Millionen Mark gebauten Sporthallen, das Velodrom und die Max-Schmeling-Halle in Prenzlauer Berg, sind zur Zeit zwar offiziell zu 74 Prozent ausgelastet. Doch die realativ hohe Auslastung kommt vor allem durch den Schul- und Vereinssport zustande, der dort betrieben und vom Berliner Senat jährlich mit 11,7 Millionen Mark bezuschusst wird.

In kommerzieller Hinsicht spricht der Veranstaltungsplan allerdings eine andere Sprache: Die ursprünglich für olympische Boxkämpfe gebaute Max-Schmeling-Halle ist im April genau viermal ausgelastet. Dabei ist ein Event so ein überragendes Ereignis wie die Personalversammlung des Bezirksamtes Prenzlauer Berg.

Und der Weltmeisterschaftsfight zwischen Klitschko und Byrd? „Natürlich hätten wir auch gerne den Boxkampf gehabt“, gibt Sally Rothholz unumwunden zu. Er ist der Geschäftsführer von Velomax, der Firma, die die Max-Schmeling-Halle vermarktet. „Aber wir waren den Boxern wohl zu groß“, versucht er das Image-Desaster für seine 8.000 Menschen fassende Halle schönzureden.

Ein Grund, warum die Boxer nicht in die Boxsport-Halle wollten, war das Parkplatzproblem. Öffentliche Hallen für die gescheiterte Olympiabewerbung sind in Berlin nach einem Schlüssel 20 zu 80 gebaut worden. Sprich: Die öffentliche Hand hatte sich vorgestellt, dass nur 20 Prozent der Besucher mit dem Auto kommen sollen.

„Bei Rockkonzerten oder Boxkämpfen kommt das nie hin“, weiß auch Rothholz. Das Estrel mietet bei Großveranstaltungen zu seinen regulären 450 Stellplätzen von umliegenden Gewerbeflächen hinzu und organisiert Busshuttles. Bernd Bönte von Universum Box Promotion, dem Box-Stall, der Klitschko managt: „Das Estrel war für uns nun mal in allem viel besser: Alles unter einem Dach, kurze Wege, und die Leute, die im Estrel arbeiten, sind superprofessionell.“

Und dann schiebt Bönte nach: „Außerdem wollen wir wieder kommen. Die Konditionen, die uns im Estrel geboten wurden, waren sehr attraktiv.“ Dazu passend wird in der Branche gemunkelt, das Estrel habe das Convention Center beim Klitschkokampf der Box- und Halbwelt umsonst zur Verfügung gestellt. Das Estrel dementiert das natürlich.

Die Konkurrenz startet zur Gegenoffensive

Doch einen Vorwurf will dem Estrel niemand machen. Vornehm verstehen sich die anderen Berliner Hotels, Hallenbetreiber und Kongressorte nicht als Konkurrenz, sondern als Mitbewerber. „Das Estrel hat Berlin erst mal als Kongress-Standort ins Gespräch gebracht“, bedankt sich Rolf Köchl, Verkaufsleiter vom Hotel Crown Plaza, das in unmittelbarer Nähe zum Kurfürstendamm in der schicken City-West liegt.

Und Köchl startet gleich zum Gegenangriff. Sein Vier-Sterne-Hotel hat sich gerade zusammen mit drei anderen Luxushotels zur „Destination Budapester Straße“ zusammengeschlossen. Die eng beieinander liegenden Traditionshäuser wollen gemeinsam in die Fußstapfen des Estrel treten – nur in einem anderen Segment. „Unser Vorteil ist der Standort direkt am Kurfürstendamm“, sagt Köchl. „Die Gäste können gleich um die Ecke shoppen gehen.“ Zusammen kommen die Hotels auf eine Kongressfläche von 9.000 Quadratmetern und insgesamt 1.600 Zimmern. In Zukunft wollten die vier Häuser Buchungen für größere Tagungen untereinander abstimmen. Die Preise liegen deutlich höher als im Estrel: Bei den Häusern der „Destination Budapester Straße“ kosten die Zimmer um die 300 Mark. In der Neuköllner Prärie zahlt man nur 165 Mark.

Grundsätzlich ist die Zahl der Kongresse und Tagungen seit dem Umzug der Bundesregierung nach Berlin stark gestiegen. Das Internationale Congress Centrum ICC, ebenfalls im Westen Berlins, verbuchte 1999 bereits einen Zuwachs von Veranstaltungen um mehr als 25 Prozent, Tendenz steigend.

„Gerade konnten wir Hamburg den größten deutschen Musikpreis, die Verleihung des Echo, abjagen“, sagt Pressesprecher Michael Hofer. Und das ICC hat weitere Highlights im Programm: In Berlin wird im Jahr 2002 „der größte Kongress stattfinden, den Berlin und Deutschland je gesehen hat“: ein Kardiologenkongress mit 24.000 Teilnehmern. Aber auch Hofer will im Estrel nur einen Mitbewerber sehen. Das Prinzip ist: „Konkurrenz belebt das Geschäft. Und zwar bei allen.“