Die schöne Aischa

Ein Märchen namens Gender: Farida Benlyazids „Die List der Frauen“ in den Zeise-Kinos  ■ Von Tobias Nagl

Vieles soll das Kino beerbt haben: den bürgerlichen Roman, das Vaudeville, die camera obscura. All diese Genealogien sind unvollständig, umreißen sie doch viel eher eine historische Konstellation, in der etwas Neues auf den Plan trat, als dass sie klare Kausalitäten benennen könnten. Zu den Ahnen des Kinos mag man erst recht eine Erzählform hinzufügen, die doch zu den ältesten der Welt zählt: das Märchen.

Beide bewegen sich auf der Achse von stets neu verleugnetem Unglauben des Publikums und Anspruch auf Wahrheit, auch wenn die nur eine tiefere sein mag. Und beide, schließlich, beenden ihr Es war einmal allzu gerne mit einem Und wenn sie nicht gestorben sind, sind Formen, die ihren Sinn im Happy End erschaffen. Dem Kino ist gerade das immer wieder vorgeworfen worden. Dabei reichte ein Blick über die Traumfabrik Hollywood hinaus, um – spätestens – zu bemerken, dass auch jedem Klischee eine Wahrheit innewohnt, die volkstümliche Erzähltradition und kulturindustrielle Lüge nicht immer in eins fallen.

Ein Film, der sich das Märchen für seine Zwecke, und das sind hier im weitesten Sinne: feministische, zunutze macht, ist Farida Benlyazids farbenfrohe Fantasie Die List der Frauen. Eingebettet in eine aktuelle Rahmenhandlung, erzählt die marokkanische Filmemacherin (Une Porte sur le Ciel) das im gesamten islamischen Raum verbreitete und von Lorca einst als Puppentheaterstück adaptierte Märchen vom „Basilikummädchen“.

Die schöne Lalla Aischa lebt mit ihrer Amme und dem verwitweten Vater in einem Haus, das an den Palast des Königs angrenzt. Da sie das Haus nicht verlassen darf, pflegt sie mit aller Liebe den Basilikumgarten der Familie. Wo ein Mädchen ist, darf im Märchen der Prinz nicht fehlen, der sie natürlich längst erspät hat und über den königlichen Maschendrahtzaun zu necken beginnt. Aus ihrem mit rhetorischem Witz und eskalierendem Aufwand ausgetragenem Flirt entsteht bald ein handfester Geschlechterkampf um den Machtanspruch der Männer: Ist die List der Männer oder die der Frauen überlegen? Wenn sich auf dem Weg zur Vereinigung der Liebenden die letztere durchsetzt, und sogar die bessere, weil aufgeklärtere Koran-Interpretation auf ihrer Seite hat, dann ist das durchaus zu verstehen als „Fingerzeig an die Jugendlichen heute“, so die Regisseurin, „dass wir eine lange Tradition haben, in der Frauen wertgeschätzt wurden.“

Auf unspektakuläre, aber fesselnde Weise ist Benlyazid diese Intervention gelungen. Gegen die misogynen Tendenzen des islamischen Fundamentalismus stellt sie die emanzipatorischen innerhalb der maurischen Kultur, gegen das orientalistische Haremsbild das eines weiblichen Raums, den sie in Une Porte sur le Ciel bereits, wenn auch surrealer, erkundetet hat, und der so sehr Gefängnis wie eben auch Oase sein kann. Und wo der westliche Blick auf den Orient Opulenz, Erotik und Kitsch erwartet, inszeniert Benlyazid schlicht.

Ein Kameraschwenk von oben nach unten kommt da schon einem kinematografischen Ausrufezeichen gleich. Dass dabei die Palasträume des Prinzen eher einer 70er-Jahre-Sozialbauwohnung ähneln und an den historischen Kostümen Reißverschlüsse auszumachen sind, mag zwar eher Budget-Gründe gehabt haben – verstärkt allerdings nur das Allegorische dieses seltsam faszinierenden Stückchens postkolonialen Kinos.

ab heute, 15.30 Uhr, Zeise