Kunst für die Bananenrepublik

■ Trotz kleiner Deckungslücken: In der kulturellen Spardebatte war das Vegesacker Kito gänzlich unumstritten. Zum zehnten Geburtstag erinnert sich Kito-Leiter Claus Hößelbarth an Farbbeutel und feiert am Samstag mit Moscow Art

Kito ist nicht die Abkürzung für Kunst im Tollhaus, sondern für „Kistentod“ – kein Flax ey. In den 20er Jahren nämlich residierte dort eine Verpackungsfirma, die durch den Einsatz von Wellpappe zur Ausrottung der guten alten Holzkiste beitragen wollte. Im feuchten, pappewidrigen Bremen ein gewagtes Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt war. Ab 1969 dümpelte das 1630 errichtete Gebäude in einer Art Dornröschenschlaf. Wachgeküsst wurde es durch eine Kulturinitiative, die – ziemlich einmalig – von breiter Partei- und Bürgerschicht getragen war. Im dreistöckigen Gebäude war das Museum Overbeckstiftung und ein Kulturprogramm angedacht – sowie ein Glasatelier. Claus Hößelbarth nämlich, ein in Halle/Giebichenstein ausgebildeter Glasdesigner, kam 1984 in den Westen und suchte nach längeren beruflichen Wanderjahren endlich eine feste Kunstbleibe. Zum Glück verschleppte sich die Einrichtung der Werkstätten, und so mutierte Hößelbarth, der aus DDR-Zeiten schon rudimentäre Erfahrungen als Jazz-Veranstalter mitbrachte, quasi versehentlich zum Kulturmanager. Zu einem erfolgreichen. „Wir haben ganze 95 Prozent unserer Anfangs-Visionen verwirklicht. Damit hat eigentlich niemand gerechnet, und ich staune heute noch, wenn ich das alte Konzept durchlese.“ Im Unterschied zu fast allen anderen Kulturorten verbindet das Kito eine große Bandbreite mit klarem Profil. Statt Lesungen kommt ein Verlagschef oder Lektor samt seinem Autor. Statt Theater gibt es Kabarett. Klassik wird von der Kammerphilharmonie abgedeckt. U-Musik konzentriert sich auf Avantgarde-Jazz, Stichwort Knitting Factory. Ausgestellt werden seit –93 ausschließlich Cartoons – Wächter, Bernstein, TOM... Das bringt achtbare 2.500 Besucher pro Ausstellung. Allerdings keine Schulklassen.

Am 24.4.1990 titelte die taz „Der Tag, an dem das Kito kam“. Und der unerwartete Erfolg dieser Kulturstation in der urbanen Wüste führte in der taz nicht nur zu 578 Erwähnungen – das toppt sogar das Bremer Theater – sondern zu einzigartigen Lyrismen wie „kleines Kulturwunder“ oder „neue Perle am Kulturhimmel“ – aber ist der Himmel eine Halskette?

taz: Schon im Jahr 1991 hattet Ihr euren ersten echten Skandal, Res-pekt: Die Ausstellung „Erotik in der zeitgenössischen Kunst“, die erste und zugleich letzte Kooperation mit dem Kunstverein Nord.

Claus Hößelbarth: Die Besucher der Vernissage mussten bei Betreten mit Nadeln gegen die Künstlerin Natascha Fiala schießen. Es ging wieder mal um das Thema der latenten Gewaltbereitschaft von jedermann. Da floss Blut und das kam noch weniger in der Vegesacker Bürgerschaft an als die diversen Vaginas und Penisse im Ausstellungsraum.

Auch eine eurer „Kolleg“-Vortragsreihen war umstritten. Da ging es um die Euthanasiedebatte.

Mit dabei war der Moralphilosoph Rainer Hegselmann, der schon an der Bremer Uni mit Randale rechnen musste – Buttersäure in den Vorlesungen. Es gab heftige Kontroversen mit der Lagerhaus-Initiative „Selbstbestimmt leben“. Wir wollten aber gewiss keine Werbung für den Australier Peter Singer machen. Am deftigsten aber ging es zu bei Heiner Geißlers Lesung aus seinem Buch „Zugluft“.

Da habe ich in unserem Archiv den denkwürdigen Geißler-Satz gefunden: „Der CIA ist auch nicht mehr das, was er einmal war.“

Nun, bei unserer Lesung war aber nicht der CIA das Problem. Vielmehr kreuzte die ganze autonome Szene auf. Im Nachhinein eine lustige Anekdote, doch damals war mir das überaus peinlich. Drinnen lauschten 150 Menschen, während draußen etwa 250 Leute mit Eiern und Farbbeutel warfen, die Straßenlaternen demolierten, Fenster zertrümmerten, einen Container abfackelten. Das kostete uns 15.000 Mark. Die Polizei war restlos überfordert und Geißler maulte: „Jede drittklassige Bananenrepublik kann mir mehr Sicherheit garantieren als Bremen.“ Mit dem Vorfall hat sich sogar später die Bremische Bürgerschaft befasst.

Es gab natürlich auch Highlights: 1993 „Japan verstehen“, 1995 „Indien verstehen“ mit einem 300.000 Mark-Etat, großen Sponsoren und jeweils über 30 Veranstaltungen – Ausstellungen, Vorträge, Lesungen, Konzerte. Für '97 war China angedacht, für 2000 die GUS-Länder ...

... was an der Finanzierung scheiterte. Schade, denn das war für uns eine große, produktive Sache. Für die Indientage war ich auf Einladung der indischen Kulturbehörden zwei Wochen in Delhi und knüpfte jede Menge Kontakte. Bei unserem Konzert von Ustad Amjad Ali Khan sichtete ich an der Kasse John McLaughlin. Mir zitterten die Knie und ich grübelte angestrengt: Soll ich dem jetzt eine Karte verkaufen oder schenken. Dreimal saß er bei uns in der ersten Reihe und spielte Luftgitarre. Das war schon eine Nummer. Allerdings reiste er nicht extra aus der USA an, sondern hier in Bremen lebte seine Freundin. Bei den Indientagen wurden sogar auch Ehen geschlossen, nämlich zwischen Sudhir Kakar und einer Bremerin. Passenderweise hält Kakar nächsten Monat einen Vortrag – über „Kamasutra oder die Kunst des Begehrens“.

... Kinder UND Inder. Seit der Kito-Eröffnung führt Ihr einen gnadenlosen Toilettenkrieg. Neben neuen Toiletten geht es um einen Nottreppenaufgang und einen Aufzug.

Und so notleiden in den Konzertpausen bis zu 199 Gäste vor je einer Herren- und Damentoilette. Für Rollstuhlfahrer ist unser Angebot schlicht nicht zugänglich. Im Zuge größerer Umbauten werden diese irrwitzigen Zustände 2001 oder spätestens 2002 behoben, hoffentlich.

Umbauten?

Wir kriegen einen Zwei-Etagen-Konzertraum, die Bühne wird eine Etage tiefer gelegt, wo jetzt die Bühne steht, wird ein großes Loch in den Boden gerissen, was zu einer Galeriesituation führt, das heißt: mehr Leute. Beim Umbau 1990 glaubte man nicht recht an das Funktionieren des Kitos. Jetzt wissen wir, dass es möglich ist, 20.000 Leute pro Jahr von außerhalb nach Vegesack zu bewegen. Früher schämte ich mich bei manchen Künstlern aus New York oder Sydney für unser kleinstädtisches Ambiente. Mittlerweile weiß ich, dass gerade das gut ankommt, die Nähe von Veranstaltung, Hotel, Kneipe. Kein Einziger hat sich beschwert.

Also glücklich mit dem Abseits?

Das wunderschöne Gebäude liebe ich über alle Maßen. Unser Jazzprogramm erscheint mir hier aber schon manchmal deplatziert. Die Ursprungsidee war, aus Vegesack ein so genanntes Mittelzentrum mit dem dazugehörigen kulturellen Anspruch zu machen. Das ging bislang nicht auf. Aber vielleicht tut sich einiges mit der International University Bremen in Grohn. Die ist gerade einen Kilometer entfernt. Aber bis es so weit ist, bedient wenigstens die Stiftung Overbeck das Vegesacker Gemüt.

Das kann ich nicht schreiben, die Vegesa-ckerianer werden Sie lynchen.

Das geht in Ordnung, ich vermute, in Vegesack gibt es höchstens zwei oder drei taz-Leser.

Okay, dann schreibe ich das mit dem Vegesacker Gemüt, selber Schuld. Geld?

Es gibt sehr viele Legendenbildungen? Zwar hört sich ein Jahreszuschuss von 400.000 verdammt gut an, aber durch hohe laufende Kosten – etwa 30.000 jährlich für die Alarmanlage – muss sich unser Veranstaltungsprogramm komplett durch Eintrittsgelder finanzieren.

Zukunftsprojekte?

Nächtliche Horrorlesungen, ein Kito-Chor, eine Haus-Kabarett-Gruppe, ein Jazz-Club zu unserer Unterstützung, alles schon in der Mache. Vor allem wünsche ich mir eine weitere Stelle. Wir sind gerade mal drei Fes-te. Ohne Kooperationen, etwa mit Radio Bremen wäre das Programm nicht zu stemmen. Die Reihe „Rising Stars“ zum Beispiel ist komplett eingekauft. Dahinter stecken amerikanische Labels, die in Deutschland Fuß fassen wollen. Das ist etwas mainstreamiger als der Rest bei uns, Stichwort Wynton Marsalis. Seit aber Ray Brown zu uns kam, unsere Programme sichtete, keinen einzigen Namen kannte, und in unser Gästebuch schrieb „More Swing, more Swing, more Swing“, finde ich das gut. Fragen: bk

22.4., 20 Uhr: „Moscow Art Trio“, es feierte in diesem Monat ebenfalls seinen Zehnten.