„Sie war schon zwanghaft“

Mit „Die Unberührbare“ wandelt Oskar Roehler auf Fassbinders Spuren. Ein Gespräch über seine Mutter Gisela Elsner, Hannelore Elsners Augen und halluzinatorische Aschenbecher

taz: Was stand am Anfang Ihres Films? War es wirklich der Wunsch, die Geschichte Ihrer Mutter wiederzugeben?

Oskar Roehler: Sagen wir mal so: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Ich hatte eigentlich immer den Wunsch, so eine Art von Film zu machen. Und zwar seitdem mich Filme beeindrucken, seit ich in der Pubertät im Kino war. Da waren für mich einige deutsche Filme sehr wesentlich, zum Beispiel „Händler der vier Jahreszeiten“ oder „Angst essen Seele auf“. Ich war 12, 13 Jahre alt und bin danach in den Park gegangen und habe über diese Filme nachgedacht. Ich fühlte mich damit richtig verbunden. Andere Regisseure machen eben in der Heinz-Rühmann-Tradition deutsche Nachkriegswirtschaftswunderhumorfilme, ich wollte eine andere Tradition fortsetzen.

Andererseits wirkt Ihr Film auch wie die ganz konkrete Befreiungsaktion eines Sohnes. Wie kam Ihre Mutter, die Schriftstellerin Gisela Elsner, ins Spiel?

Der Film hat natürlich schon insofern mit meiner Mutter zu tun, als ihre ganze Welt mir auch geläufig war. Ich kenne ja ihre Eltern und ihre ersten Mann, weil es ja mein Vater ist. Ich kann mich noch erinnern, dass meine Großmutter immer drakonische Maßnahmen ankündigte, wenn jemand nicht zu Ende studieren wollte. Oder wie man erpresst wurde oder schräg angekuckt, wenn man auch nur ein halbes Kilo abgenommen hat – direkt wurde man der Heroinsucht verdächtigt. Man sollte die Arme zeigen, und wenn man sie nicht zeigte, kriegte man überhaupt kein Geld mehr.

Eine ganz auffällige Parallele zu Fassbinder ist die Verzweiflung der Hauptfigur. Eine Verzweiflung, die immer schon da ist, jenseits der Umstände.

Was mich an der „Unberührbaren“ fasziniert hat, das war ganz klar, dass man vom ersten Moment, von der ersten Aufblende aus dem Schwarz sofort weiß: das kann nicht gut gehen. Der riesige Schatten dieses Selbstmordes steht von Beginn an im Raum. Das war mir wichtig. Einer meiner liebsten Fassbinder-Filme ist „In einem Jahr mit dreizehn Monden“, wo im Vorspann bereits das Schicksal von Elvira Weißhaupt vorweggenommen wird. Die Geschichte meines Films ist letztlich sehr einfach. Es ist ein Stationendrama, sie begegnet einigen Menschen, die die eine oder andere Bedeutung in ihrem Leben haben, und fertig. Die Menschen, denen sie begegnet, haben nicht den Einfluss, den Strom des Schicksals, in den sie gefallen ist, aufzuhalten.

Beruht Ihre Sicht dieser letzten Tage von Gisela Elsner auf Biografischem? Oder haben Sie vieles verdichtet?

Das war eine ganz gute Mischung. Es gab zum Beispiel eine Begegnung zwischen meinem Vater, der von Vadim Glowna gespielt wird, und meiner Mutter am Bonner Bahnhof, wo die beiden sich zufällig getroffen haben. Er hat sie dann mit nach Darmstadt genommen, aber was da in der Wohnung passiert ist, weiß ich nicht. Sie hat auch den Gang nach Canossa zu den Eltern gemacht und wollte Geld. Da waren so viele Mosaiksteine, die ich kannte, auch dass sie bei Dior einkaufen gegangen ist, in den noblen Schwabinger Boutiquen. Aus den ganzen Mosaiksteinen habe ich diese Parabel zusammengesetzt.

Und die Ausstattung? Sie wirkt gleichzeitig real und retro, vertraut und stilisiert.

Die Innenräume der Wohnungen wollte ich genauso haben, wie ich sie in Erinnerung hatte, sowohl die meines Vaters als auch die meiner Mutter. Und bei meiner Mutter habe ich die Ausstatterin dann auch gebeten, die ganzen Möbel, Aschenbecher, eben auch die Lampen überdimensional groß zu besorgen und symmetrisch anzuordnen. Weil man durch die Tablettensucht Halluzinationen bekommt und die Dinge größer wirken, wenn du auf Entzug bist – daher kommen dann auch die Depressionen.

Der Film trauert mit der Figur mit, haben Sie diese Trauer auch für Ihre Mutter empfunden?

Das war nicht vorhanden. Ich war über ihren Tod eigentlich sehr erleichtert. Das war bei Dreharbeiten von Schlingensiefs „Terror 2000“. Die erste Reaktion war wirklich eine kolossale Erleichterung, was sicher mit einem sehr problematischen Mutter-Sohn-Verhältnis zusammenhing. Auch diese Dominanz der Schriftstellerin gegenüber diesem unreifen, unausgegorenen Menschen, der ich ja vielleicht lange Zeit auch war.

Das spiegelt sich auch in der Szene zwischen Ihnen und Ihrer Mutter wieder. Da nimmt sie Ihre Schreibversuche nicht sehr ernst. Aber der Film bleibt immer ganz bei ihr.

Ich war in dieser Szene eher traurig über die Figur selbst, in ihrer ganzen Nacktheit – aber das hatte dann nur noch wenig mit meiner Mutter zu tun. Das hätte auch eine Person mit einem völlig anderen Beruf sein können, die an ganz anderen Umständen gescheitert wäre. Im Film wird sie zu einer Person, die einfach rumirrt, die völlig schutzlos ist und im Dior-Mantel über das Brachland in Neuschönhausen irrt.

Welches Verhältnis haben Sie zur Schriftstellerin Gisela Elsner?

Ich habe mir nach dem Film ein Bild von ihren Büchern gemacht, und mein Vorurteil hat sich dann leider auch bestätigt – also diese widerwärtigen Charaktere, die sie beschreibt, und zwar ohne Liebe. Dieses Zwanghafte, unsympathische Charaktere zu beschreiben, die eigentlich einen ganz trivialen Machtkampf miteinander führen, das hat mich doch ziemlich abgestoßen. Ich fand das ziemlich hölzern und auch gewollt. Ich mochte es nicht. Wobei ich schon sagen muss, dass sie wirklich genau beobachtet hat. Das muss man ihr wirklich zugute halten. Also, wenn ich so mit ihr gesprochen habe, da hatte sie schon eine ganz manische Sichtweise. Sie war schon sehr zwanghaft und darauf fixiert, Leute zu beobachten. Es mag Leute geben, denen das gefällt. Aber es ist einfach nicht mein Ding.

Wenn man den Film sieht, denkt man: Hannelore Elsner, ja klar. Aber wie ist es dazu gekommen?

Diese Fernsehserie mit ihr, „Die Kommissarin“, habe ich nie gesehen. Eingebung, Intuition. Was soll ich denn anderes sagen? In Zeitschriften habe ich sie gesehen. Goldene Kamera oder so. Es gibt diesen merkwürdigen traurigen Blick in diesem ewig lachenden Gesicht. Diese traurigen Augen, die sie hat, auch wenn man sie auf so einem Glamour-Foto in der Bunten auf irgendeinem Ball sieht. Sie lacht, strahlt einen an, aber diese Augen passen nicht wirklich dazu.

Und wie kam es von den Augen zur Figur?

Hannelore war bis kurz vor Beginn mit einem anderen Dreh beschäftigt. Als sie dann in Berlin ankam, herrschte erst mal von allen Seiten eine große Verunsicherung. Sie wollte die Rolle zwar offenbar unbedingt spielen, weil es für sie eine Herausforderung war. Aber sie wusste auch nicht, wie sie die Figur anlegen sollte. Und ich wusste wiederum nicht, wie ich dieser supererfahrenen Schauspielerin ein Selbstverständnis für die Rolle geben konnte. Wir tappten im Dunkeln. Das Opfer der ganzen Verunsicherung war dann die Kostümbildnerin. Die hatte von Escada 100.000 Anzüge bekommen, die so silber oder gold glänzend madamehaft rumhingen. Die musste sie erst mal weghängen und wurde für unfähig erklärt. Dann ging ich mit Hannelore in irgendwelche Geschäfte, wo die Produzentin schon zu schwitzen anfing. Da haben wir Unmassen von Kleidern gekauft, die ja auch wirklich toll sind. Darüber haben wir uns besser kennengelernt. Da war dann für kurze Zeit auch so etwas wie eine Mutter-Sohn-Verhältnis.

Aber die reale Gisela Elsner hatte sicher auch ein Wörtchen mitzureden, allein mit ihrer Selbststilisierung, mit ihrem Hang zu überdimensionalen Perücken und dick geschminkten Augen.

Dass Hannelore dann die Rolle gefunden hat, war einem Tape zu verdanken, das der WDR als Nachruf auf meine Mutter gemacht hat. Es gab Fernsehinterviews mit ihr als Dreißig- oder auch Fünfundvierzigjährige, Interviewausschnitte von Freunden und Bekannten. Hannelore hat sich angesehen, wie die Gesten waren, die Haare und Augen, wie meine Mutter die Zigarette gehalten hat. Da hat sie dann irgendwann fasziniert gesagt: „Das war doch eine schöne, liebevolle und zutiefst zerbrechliche Figur, und das habe ich immer gesucht. Warum habt ihr mir denn die ganze Zeit erzählt, dass sie so ein abgefucktes Drogenmonster war. Das ist sie doch überhaupt nicht.“ Hannelore hat die Schönheit der Figur entdeckt. Einen Tag vor Drehbeginn, und dann ging das Ganze los.

Interview: ANKE LEWEKE
und KATJA NICODEMUS