die stimme der kritik
: Betr.: Der deutsche Kleinaktionär und die Atompolitik

DUMM, HÄSSLICH UND DEVISENSTARK

Das Leben ist schrecklich. Schon kurz nach Sonnenaufgang fragen einen die ersten Omnibusfahrer, Biokybernetiker und Ornithologiestudentinnen nach Aktientipps. In der Untergrund-Bahn sitzen Jüngelchen, vom Fruchtwasser noch feucht hinter den Ohren, die lesen Focus-Money, notieren sich dabei ständig Firmennamen wie apa-IT.com, faseln von temporärer Näsdäg-Schwäche und fragen ihren milchgesichtigen Nebensitzer, ob sie jetzt „einsteigen“ sollen, weil die Widerstandslinie bei 42,5 Euro geknackt wurde.

Zu voller Form läuft der gemeine Kleinaktionär – riegeldumm, hässlich, aber devisenstark – in der „Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“ auf. Das Zentralorgan des Kleinanlegers kann zwar nur mit größter Not eine Windmühle vom schnellen Brüter unterscheiden, hat sich aber mutig in die Atomausstiegsdebatte geworfen. Der geistige Fallout war den Nachrichtenagenturen gestern eine eigene Meldung wert. Kernsatz: „Alles unter 35 Jahren, besser noch 40 Jahren Restlaufzeit“ für den deutschen Atommeiler „ist für uns nicht akzeptabel“. Sollten die Atombosse den McCashflow ihrer Anleger grob missachten und auf 30 Jahre Laufzeit einschwenken, will der deutsche Kleinaktionär zu Gericht springen und donnernd Klage erheben.

MANFRED KRIENER