chefsache
: REDAKTIONSLEITER MARKUS FRANZ über die neue nrw-taz

GlÜCK AUF!

Eine ketzerische Frage: Würde die taz, wenn sie ihre Zentrale im Ruhrgebiet oder in Köln hätte, jetzt einen Berliner Lokalteil installieren? Bzw. würde sich eine Initiative gründen, um in Eigenregie eine taz berlin auf die Beine zu stellen? Möglicherweise. Schließlich ist Berlin die vielleicht faszinierendste Stadt Deutschlands.

Andererseits: Nirgendwo sonst ist die Medienvielfalt ohnehin schon so groß wie in Berlin. In NRW ist die taz notwendig! Im Ruhrgebiet beherrscht der WAZ-Konzern die Presselandschaft. In Münster gibt es zwei katholisch-konservative Blätter, in der Großstadt Wuppertal ein Provinzblatt, in Düsseldorf die schwarze „rheinische Pest“, in Köln bestimmt Neven DuMont den Zeitungsmarkt, wenngleich mit einer beachtlichen Zeitung. Es ist nicht so, dass die größte Regionalzeitung Europas, die WAZ, ein grottenschlechtes Blatt wäre. Ich habe sie von klein auf gelesen, habe sie geliebt. Aber ich habe auch bei ihr gearbeitet, und ohne zu viel sagen zu wollen: Viele Unternehmen schalten für viel Geld Werbung in der WAZ, und viele mächtige Politiker haben ein vorzügliches Verhältnis zu den WAZ-Oberen.

Die Spende, die WAZ-Geschäftsführer Erich Schumann dem Ex-Kanzler Helmut Kohl zukommen ließ, übersteigt den Jahresetat der taz nrw um mehr als das Doppelte. Gerade in NRW ist die Sehnsucht nach einer Alternative auf dem Zeitungsmarkt groß: zu geschäftlicher und politischer Rücksichtsnahme, zu Mainstream- und Häppchenjournalismus, zu Provinzialismus. Die taz nrw steht in Form und Inhalt für Journalismus, der Politik nicht in erster Linie von den Funktionsträgern her vermittelt, sondern aus Sichtweise der Betroffenen. Wir wollen zeigen, wie die Politik ankommt, und uns derer annehmen, die kein Sprachrohr haben. Unser besonderes Augenmerk wird der Verfilzung und Verkrustung der Politik in NRW gelten. Wir nehmen uns vor, nicht nur Entscheidungen zu kommentieren, sondern vor allem auf kommende Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Anstöße und Debattenbeiträge aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens sind uns willkommen.

Eine besondere Herausforderung und zugleich besondere Chance ist das Regionalisierungskonzept der taz nrw mit ihren Ausgaben taz ruhr, taz köln, taz münster. Für die taz köln und die taz münster ist die Sache relativ klar: Sie machen auf vier Seiten Lokalberichterstattung. Weitere vier Seiten sind für Landesberichterstattung reserviert. Für die taz ruhr, die keine reinen Lokalteile anbietet, gilt: Eine Geschichte aus Bochum muss auch den Dortmunder, Essener, Duisburger ... interessieren.

Wie man das macht? Alle Themen werden auf ihre Relevanz für das ganze Ruhrgebiet abgeklopft. Wenn die Stadt Essen ihre Parkgebühren senkt, um mehr Autos in die Innenstadt zu holen, fragen wir, ob das in anderen Revierstädten auch so ist. Wenn ja, schreiben wir über eine Trendwende der Verkehrspolitik im Ruhrgebiet. Wenn wir feststellen, dass sich in Köln und Münster die Bedingungen für den Autoverkehr gerade ebenfalls verbessern, bekommt die Geschichte eine umso größere Relevanz und landet dann auf den NRW-Seiten statt auf den Ruhr-Seiten. Wer Kirchturmsberichterstattung möchte, ist bei uns falsch. Wer Ereignisse in einen größeren Zusammenhang eingeordnet wissen will, ist bei uns richtig. Zugegeben, die Projekte taz ruhr und taz münster haben die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Das lag aber daran, dass es keine professionellen Strukturen gab und so gut wie keine Unterstützung aus dem Mutterhaus. Das hat sich nun geändert.

Die taz sieht das taz-nrw-Projekt inzwischen als verlegerische Chance. Und mit Christoph Speier als Geschäftsführer und Joachim Berndt als Anzeigenakquisiteur wurden zwei wichtige Personalentscheidungen getroffen. Als Ruhri sage ich, und das gab es in der taz eben bisher nicht: Glück auf! MARKUS FRANZ

Autorenhinweis:MARKUS FRANZ (36) war Ressortleiter der Berlin-Lokalredaktion und arbeitete im Bonner Büro der taz. Als die nrw-taz durchstartete, war er nicht mehr zu halten. So viel zum Berlin-Hype.