Politkrimi mit Ball

Medien und Politiker der Türkei stilisieren das heutige Rückspiel zum Politikum. Für sie tritt Galatasaray stellvertretend für das gesamte Land an

aus IstanbulJÜRGEN GOTTSCHLICH

Es sah aus wie der Trailer zu einem neuen James-Bond-Film. Elf hoch gewachsene Männer in gedeckten Anzügen, alle mit dunkler Sonnenbrille, an einer Wand aufgereiht, warteten auf ihren Einsatz. Vor ihnen ein beleibter Bürokrat, der sich über die Vorzüge der Supermänner auslässt. Tatsächlich handelt es sich um Helden aus dem wirklichen Leben, die kein Geringerer als der türkische Polizeichef selbst der Öffentlichkeit präsentierte. Diese Spezialpolizisten, so Turan Genç, werden unsere Galatasaray-Spieler in Leeds schützen. Besondere Qualifikation der Polizeiagenten: Sie waren zuvor als Personenschützer von US-Präsident Clinton und als Bewacher Abdullah Öcalans auf Imrali im Einsatz. Leider werden sie in Leeds nur bedingt einsatzbereit sein, da die britische Regierung ihnen nicht erlaubt, ihre Schusswaffen mitzubringen.

Noch nie zuvor hat eine türkische Fußballmannschaft bei einem Auswärtsspiel so umfassende Unterstützung aus der Heimat bekommen wie Istanbul Galatasaray, die heute Abend in Leeds zum Rückspiel im Halbfinale um den Uefa-Cup antreten muss. Selten zuvor war ein Fußballspiel eine derart hochpolitische Angelegenheit. Glaubt man den türkischen Medien und den Politikern des Landes, tritt Galatasaray in der Elland Road für die gesamte Türkei an – nicht nur um das Spiel zu gewinnen, sondern um den Platz der Türkei in Europa zu behaupten.

Das Spiel wäre in jedem Fall eine große Aufregung geworden, denn noch nie zuvor ist eine türkische Vereinsmannschaft in einem europäischen Wettbewerb so weit gekommen, wie Galatasaray in der jetzigen Uefa-Pokal-Runde. Werden sie heute Abend nicht mit mindestens drei Toren Differenz von Leeds United besiegt, steht Galatasaray im Cup-Finale. Doch seit am Vorabend des Hinspiels vor zwei Wochen in Istanbul zwei englische Fußballfans von türkischen Schlägern erstochen wurden, hat der Auftritt die sportliche Dimension weit hinter sich gelassen. Galatasaray wehrt sich in Leeds stellvertretend für die Türkei dagegen, dass „alle Türken“ für den Mord in Kollektivhaftung genommen werden.

In den ersten Tagen nachdem die beiden Engländer mitten auf dem belebtesten Platz Istanbuls erstochen worden waren, wurde in der türkischen Öffentlichkeit heftig über Schuld, Scham und Nationalismus diskutiert. Während die nationalistische Boulevardpresse suggerierte, die beiden englischen Fans hätten durch ihr provokatives Auftreten die ganze Geschichte selbst verschuldet, wurde in den seriösen Blättern die Polizei für ihr Versagen heftig kritisiert und die Regierung angegriffen, weil sie den Engländern nicht öffentlich kondoliert hatte. Ein Kolumnist erinnerte daran, dass Margaret Thatcher nach dem Desaster im belgischen Heysel-Stadion 1985 öffentlich erklärt hatte, sie schäme sich, Premierministerin des Landes zu sein. Warum, so wurde gefragt, sind unsere Politiker unfähig, der englischen Bevölkerung unsere Trauer mitzuteilen? Lediglich der Coach von Galatasaray sagte auf einer Pressekonferenz, ihm tue der Vorfall leid, und bekundete den Wunsch, am Begräbnis der beiden Engländer teilzunehmen.

Die Stimmung kippte um, als die Uefa auf Drängen von Leeds United beschloss, für das Rückspiel alle türkischen Fans auszuschließen. Weil der Club und die Polizei von Leeds erklärten, man könne für die Sicherheit der türkischen Fans nicht garantieren, wurden die für die Türkei bestimmten Karten zurückgezogen und lediglich 80 Tickets für Funktionäre und Offizielle ausgeteilt.

Diese Entscheidung löste einen wahren Sturm der Entrüstung aus. Praktisch die gesamte Türkei war sich einig: Das ist eine ungerechtfertigte Diskriminierung aller Galatasaray-Fans. Und letztlich der Türkei insgesamt.

Auch die Reaktionen in England, wo sich Übergriffe gegen türkische Migranten häuften (siehe Text unten), trug mit dazu bei, dass das Spiel endgültig zu einem Politikum wurde. Außenminister Ismail Cem intervenierte bei seinem britischen Kollegen Cook und fragte, warum die Polizei auf der Insel nicht für die Sicherheit der dort lebenden Türken und der türkischen Fans sorgen könne. Justizminister Türk traf den britischen Innenminister während einer Konferenz in Wien und bekam angeblich alle Sicherheitsgarantien. Da der gemeine Fan nicht nach Leeds fahren darf, machen sich nun der Parlamentspräsident, vier Minister und die Parteichefs Tansu Çiller und Altan Öymen auf den Weg nach England. Knapp hundert Parlamentarier wollen auch mit, doch Leeds United weigert sich, Karten für sie zu reservieren.

Angeblich will Galatasaray heute ganz in Schwarz antreten

Seit gestern sind sämtliche türkischen Fernsehanstalten mit ihren wichtigsten Leuten in Leeds vor Ort. Die Hauptnachrichtensendungen der Türkei kamen am Mittwochabend aus England. Angeblich will Leeds United auch die türkischen Presseleute nicht ins Stadion lassen, sondern lediglich dem Pay-TV-Privatsender „Cine 5“, der die Übertragungsrechte gekauft hat, Zugang gewähren. Nachdem Galatasaray vorgeworfen worden war, im Hinspiel keinen Trauerflor getragen zu haben, will die Mannschaft angeblich heute Abend ganz in Schwarz antreten.

Was mit dem Einzug von Galatasaray ins Halbfinale des Uefa-Cups vor einigen Wochen wie ein Fußballfest begann, droht nun zu einer neuen türkisch-europäischen Krise zu werden. Die unglückliche Entscheidung der Uefa, das Spiel nicht an einen neutralen Ort zu verlegen, sondern stattdessen die türkischen Zuschauer auszusperren, reaktiviert hier gleich wieder das Gefühl „Europa will uns nicht“. Wie immer das Spiel ausgehen wird, für das europäisch-türkische Verhältnis steht die Niederlage bereits fest. Der Ausschluss in Leeds ist für den durchschnittlichen türkischen Zeitungsleser eine Kränkung, die noch lange nachwirken wird.