Politischer Selbstmord der Linken

Italiens Mitte-links-Bündnis inszeniert mit aller Macht seinen eigenen Niedergang und treibt das Land der Rechten Silvio Berlusconis in die Hände
aus Rom MICHAEL BRAUN

„Mitteilung des Ministerpräsidenten“, verkündete die Tagesordnung trocken. Gefasst und selbstsicher wie immer wirkte Massimo D’Alema, als er gestern vor den Senat trat, um seinen Rücktritt zu erklären. Doch es bedurfte nicht erst der Debatte, um Italien klarzumachen, dass diesmal nicht das übliche, im Jahresrhythmus zur Aufführung kommende Stück „Regierungskrise“ gegeben wird. Ein Stück, in dem die gerade herrschende Koalition den Regierungschef mal bestätigt, mal auswechselt, um anschließend weiterzumachen wie zuvor.

Diesmal steht ein echtes Drama auf dem Spielplan: die Agonie des Mitte-links-Bündnisses, das mit Macht seinen eigenen Niedergang inszeniert; spiegelbildlich dazu die triumphale Rückkehr Silvio Berlusconis ins Zentrum des politischen Geschehens. Es ist wohl kein Zufall, wenn keine Zeitung in diesen Tagen daran erinnert, dass sich morgen zum vierten Mal der Wahlsieg des „Ulivo“, der Ölbaum-Allianz unter Romano Prodi jährt. Verhalten war die Euphorie der Linken am 21. April 1996. Doch zwei Ergebnisse galten damals als erreicht. Italien hatte, so schien es, dem Medienmogul Berlusconi und seinen populistischen PR-Kampagnen den Rücken gekehrt. Der Abschied des Geschlagenen aus der Politik galt vielen nur noch als Frage der Zeit. Und das Land hatte erstmals seine Geschicke in die Hände auch der exkommunistischen Linken gelegt.

So breit das Ölbaum-Bündnis war, so weit gefasst der ideologische Bogen von Kommunisten zu Christdemokraten, von Grünen zu Liberalkonservativen, so sehr galt sein Sieg im April 1996 doch allen Partnern als historische Chance, als Aufbruch in eine Epoche der Reformen und des „buongoverno“, des ordentlichen, ehrlichen, bürgernahen Regierens.

Nur noch als böser Traum erschien der Erdrutschsieg, den Berlusconi im Verein mit Umberto Bossis Lega Nord und den Postfaschisten von der Alleanza Nazionale erst zwei Jahre zuvor, im März 1994, errungen hatte, erfolgreich schwimmend auf der Welle populistischer Politikverdrossenheit, die nach den Korruptions- und Mafiaskandalen, nach dem Zusammenbruch der Altparteien durch Italien schwappte. Hatte sich Berlusconis Laienspielschar in den Monaten an der Regierung nicht auf immer selbst diskreditiert? Hatte nicht der sofortige Koalitionszwist zwischen Bossi und Berlusconi die totale Politikunfähigkeit der Rechten bloßgelegt? Hatte diese ernüchternde Erfahrung die Italiener nicht bis auf weiteres von der Versuchung befreit, ausgerechnet diese Rechte mit der Schaffung eines „neuen Italien“ zu betrauen?

So wollte es die Linke 1996 glauben. Massimo D’Alema, dem damaligen Vorsitzenden des Mehrheitspartners der Koalition – der aus der KPI hervorgegangenen Linksdemokraten – blieb es vorbehalten, eine angesichts des Wahltriumphs unbequeme Wahrheit auszusprechen: Trotz ihres Scheiterns an der Regierung hatten alle Rechtsparteien gegenüber 1994 zugelegt und kamen zusammen auf über 50 Prozent. Die Partner des „Ulivo“ dagegen hatten fast zwei Millionen Stimmen eingebüßt. Ihren Triumph verdankten sie allein dem Auseinanderbrechen der Allianz Bossi/Berlusconi – und der Tatsache, dass dank des italienischen Wahlrechts in den Wahlkreisen des Nordens oft genug der Ulivo-Kandidat im Zweikampf der Rechtspolitiker der lachende Dritte war. Dennoch hatte das Ölbaumbündnis im Parlament keine Mehrheit. Regieren konnte es nur dank des Vertrauensvotums der Kommunisten, die nicht ins Kabinett eintraten, sondern Prodi von außen stützten.

Dennoch: Mitte-links hatte nun fünf Jahre Zeit, das Land zu regieren und es „nach Europa zu führen“ (Prodi), es zu sanieren und gleichzeitig in der Sozial-, der Bildungs- und der Familienpolitik die versprochenen Reformen anzupacken. Fünf Jahre auch, um der durch Berlusconi repräsentierten Anomalie der italienischen Demokratie beizukommen: der Tatsache, dass der größte TV-Unternehmer des Landes ganz selbstverständlich mit einer autokratisch geführten Privatpartei in der Politik mitmischt.

Fast zum Glücksfall wurde da die Einführung des Euro. Zwei Jahre lang waren alle Energien des Kabinetts Prodi auf die Sanierung gerichtet, darauf, die in Italien äußerst populäre Beteiligung an der Währungsunion zu erreichen. Rentenreform und Sparpaket ohne brutale soziale Einschnitte, verhandelt im Sozialpakt mit den Gewerkschaften – Mitte-links präsentierte sich wirklich als Gegenstück zu Berlusconi. Wenn das Maastricht-Klassenziel einmal erreicht war, dann, so reklamierte D’Alema für die Linksdemokraten, ja dann werde es losgehen mit „Phase zwei“: mit den Reformen.

Derweil beschäftigte sich D’Alema, der selbst nicht ins Kabinett eingetreten war, mit der Verfassungszukunft des Landes. Er ließ sich zum Präsidenten des von Abgeordnetenkammer und Senat gemeinsam installierten Ausschusses für die Verfassungsreform wählen. D’Alema hatte 1996 ganz richtig die reale Stärke der Berlusconi-Rechten im Land wahrgenommen, aber er zog den falschen Schluss daraus. Ausgerechnet Berlusconi wurde ihm zum Hauptpartner im Verfassungsdialog. Der soeben gescheiterte Medienzar hatte den Nutzen: Der noch kurz zuvor als Gefahr für die Demokratie Geschmähte und von gleich mehreren Staatsanwaltschaften wegen Korruptionsdelikten Verfolgte wurde nun durch den Chef der Exkommunisten selbst zum respektablen Politiker geadelt. Den Schaden trug Mitte-links davon. Kühl ließ Berlusconi nach monatelangen Verhandlungen den Dialog von einem Tag zum andern platzen. Derweil hatte die Koalition rein gar nichts unternommen, um Berlusconis Medienmacht Grenzen zu setzen; man wollte den „Dialogpartner“ nicht unnötig provozieren.

So war Silvio Berlusconi spätestens 1998 in alter Frische und Aggressivität wieder präsent – und zeitgleich begann das Ölbaumbündnis mit seinem quälend langsamen politischen Suizid. Wieder war es D’Alema, der den fatalen Schritt tat. Er nutzte den Auszug der Kommunisten aus der Regierungsmehrheit, um Prodi abzuhalftern und selbst Ministerpräsident zu werden. Statt der radikalen Linken warb D’Alema neue Partner an: durch die Bank allzu bekannte Gesichter der Christdemokratie, vom Exstaatspräsidenten Francesco Cossiga zu Clemente Mastella, dem süditalienischen Virtuosen der Klientelwirtschaft. Von „Phase zwei“, nicht mal mehr vom „Ölbaum“ war noch die Rede.

Stattdessen gab es eine Politik ganz wie in den Fünfzigerjahren: ein italienisches Kabinett, überfüllt mit den Vertretern ebenso zahlreicher wie selbstbewusster Kleinstparteien, eine Koalition, die als permanenter Krisenausschuss tagte, einen Ministerpräsidenten, der vom ersten Tag seiner Amtszeit an durch die eigenen Partner zum Abschuss freigegeben war. Bestenfalls als Fußnote erfuhren die Italiener von den derweil im Regierungsbündnis verhandelten Sachfragen. Und selbst Erfolge wie die Anfang des Jahres vorgenommenen Steuererleichterungen gingen im koalitionsinternen Kleinkriegsgetöse unter.

Und so wird das Jahr 2000 zum Déjà-vu: Die Politikverdrossenheit muss Oppositionschef Berlusconi gar nicht erst nähren. Ihm reicht es, sie werbewirksam auszubeuten, im Tandem mit seinem neuen alten Partner Umberto Bossi.

HinweisPolitikverdrossenheit muss Silvio Berlusconi nicht erst schüren. Ihm reicht es, sie medienwirksam auszubeuten