„Kulturen haben keine Territorien“

Wie global ist „Heimat Kunst“? Ein Gespräch zwischen den russischen Künstlern Alexander Panov und Alexander Sokolov über Identitäten, den kulturellen Weltmarkt und neue Verwandschaften im Haus der Kulturen der Welt

Alexander Panov: Es ist eigenartig, aber man kann „Heimat Kunst“ im Haus der Kulturen der Welt nicht als Ausstellung bezeichnen, die aus konkreten Kunstwerken zusammengestellt ist. Hier werden eher Menschen ausgestellt als ihre Werke. Der Katalog erzählt von der Herkunft, der Nationalität und vom Übersiedeln und vom Wohnortwechsel eines jeden Künstlers. Das Wichtigste dabei ist, dass sie im wesentlichen alle ähnlich sind, da sie zu Künstlern aus verschiedenen Ländern gehören, die aus vielerlei Gründen ihre Heimat verlassen haben und nun in Deutschland leben. Die Teilnehmer der Ausstellung sind Nomaden, typische Vertreter der heutigen soziokulturellen Situation des Austauschs und der Migration. Zugleich wird „Heimat Kunst“ eben nicht in einer Kunst-, sondern in einer politisch geprägten Institution gezeigt, deren Räume für eine Ausstellung wenig geeignet sind. Und sofort fängt man an darüber nachzudenken, warum die Eröffnung zeitlich mit den Debatten über die Green Card für „Computer-Inder“ zusammenfiel. Die Kunst tritt in diesem Projekt als Mikromodell der heutigen Welt auf, das Makroprozesse widerspiegelt. Man zeigt in Berlin Künstler-Glückspilze, die sich zwischen Heimat und Kunst für die Kunst entschieden haben – die aber in Wahrheit Teil der neuen Ordnung des planetarischen Globalismus ist.

Alexander Sokolov: Bei aller Provokation zeugt „Heimat Kunst“ von realen Veränderungen, die in der heutigen Gesellschaft im Weltmaßstab geschehen. Natürlich spielt die direkte Situation Deutschlands auch eine große Rolle. Die aktuelle Green-Card-Debatte ist gleichzeitig ein Teilaspekt des globalen Zustands von Veränderungen. Wir wissen, das die Menschen gezwungen sind, umherzureisen, um Arbeit zu finden. Sie verlieren ihre Identität, da sie ihr Leben nicht programmieren können, wenn sie den Arbeitsplatz und ihre Umgebung wechseln. Sie können kein einheitliches gleichbleibendes ethisches oder ästhetisches Lebenskonzept entwickeln, keine einheitiche Lebensstrategie.

Panov: In der Diskussion um indische Fachkräfte haben wir es mit Programmierern ohne Programm zu tun, die zwar den Computer vollkommen beherrschen, aber nicht das eigene Leben, das von den Entscheidungen des Bundestags abhängt.

Sokolov: Veränderungen, die in der Gesellschaft kraft ihrer Ökonomisierung vor sich gehen, dürfen nicht politisch definiert werden. Sobald ein Mensch seine Identität verliert, kann er faktisch nicht mehr kreativ sein, was aber unumgänglich ist – gerade als Künstler. Auf dem Gebiet zeitgenössischer Kunst, als Teil des Weltwirtschaftssystems gesehen, ist eine Identifizierung nicht möglich. Kulturen, in denen die Menschen versuchen, eine Identität zu bekommen, haben keine Territorien, sie sind virtuell und ein Spiel mit Erinnerungen und Vorstellungen.

Panov: Dein Beruf als Künstler verleiht dir eine neue Staatsbürgerschaft - du bist Weltbürger. Ein Künstler aus dem Senegal und ein Künstler aus Amerika haben mit gleichem Erfolg die Blutsverwandtschaft überwunden und sind in einem beruflichen Verwandschaftsverhältnis miteinander verschmolzen. Mir scheint jedoch, dass man allein durch die Erinnerung an den Senegal, Amerika oder an einen sonstigen Punkt auf der Weltkarte unwillkürlich in die Prämoderne zurückgeworfen wird, zum Gesetz von „Blut und Boden“, das es angeblich nicht mehr gibt. Die Theoretiker von heute sind Optimisten: Sie öffnen jedem den Weg zu der höheren rassenlose Rasse, der bereit ist, seiner Rassenzugehörigkeit laut und vernehmbar abzuschwören. Der Diskurs über Rasse selbst ist jedoch faschistoid, umso mehr, da es sich um die Dichotomie von niederen und höheren Rassen handelt.

Sokolov: Tatsächlich hat die Geschwindigkeit der Umwälzungen auf die Einwohner des Senegal dieselben Auswirkungen wie auf die Bewohner Deutschlands. Die Menschen leben in zwei Kulturen – in der von gestern und in der von heute. Dass die deutsche Community nicht in die Ausstellung genommen wurde, die doch alle Regionen der Welt repräsentiert, kann nur mit der nicht mehr angemessenen Einstellung des HdKdW erklärt werden, die auf eine veraltete Konzeption der 70er-Jahre zurückgeht.

Panov: Dass die Deutschen nicht in die Ausstellung aufgenommen wurden, lässt sich einerseits ganz leicht erklären – es ist eine Ausstellung von Immigranten, Künstlern, die nach Deutschland übergesiedelt sind. Man kann das aber auch etwas anders betrachten. So wie die Welt der Kunst ein Teilstück der gesamten Welt ist, die sich unter dem Zeichen der globalen Utopie entwickelt, so ist die Kunstwelt Deutschlands ein Teil der Welt-Kunstwelt. Deutschland ist die reale Materialisierung einer allgemeinen globalen Heimat. Die Kuratoren sprechen ihrem Land die Nationalität und die Blutsverwandtschaft ab. Das Ausschließen deutscher Künstler von der Ausstellung ist für sie eine riesige Schmeichelei.

Sokolov: Offen bleibt dabei allerdings die Frage, ob den Menschen, die es fertig gebracht haben, sich im lokalen, identitätsstiftenden Kontext von ihren Wurzeln zu trennen, auch noch gelingt, die Umformatierung in die vom Markt geforderte Identitätskonstrukten zu vermeiden.

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