Streit um Öl und einen Leichnam

1995 wurde Ken Saro-Wiwa, Führer des Volks der Ogoni, hingerichtet. Am Ostermontag sollen seine Überreste feierlich bestattet werden
von DOMINIC JOHNSON

Geplant war ein Feier- und Trauertag, als Mobilisierung für die Völker im Gebiet der Ölfelder Nigerias und zur Erinnerung an den bekanntesten ihrer Vertreter. Am Ostermontag soll der 1995 hingerichtete Ogoni-Führer Ken Saro-Wiwa, dessen Tod durch Erhängen die Weltöffentlichkeit aufrüttelte und den Anfang vom Ende der nigerianischen Militärdiktatur einläutete, endlich in seiner Heimat in den Sümpfen des Nigerdeltas begraben werden.

Ken Saro-Wiwas Leichnam war nach der Hinrichtung am 10. November 1995 zusammen mit denen von acht anderen Hingerichteten vom Militär beschlagnahmt, zwecks schnellerer Verwesung mit Säure getränkt und dann in der Stadt Port Harcourt in einem Massengrab verscharrt worden. Nach dem Ende der Militärherrschaft 1999 gab der neu gewählte Präsident Obasanjo die Leichen frei und richtete eine Wahrheitskommission ein, die die Unterdrückung der Ogoni und die anderen Verbrechen der Diktatur durchleuchtet. Jetzt, am christlichen Auferstehungsfest 2000, wäre Ken Saro-Wiwas feierliche Beisetzung ein symbolischer Schlussstrich und zugleich eine symbolische Heimkehr des Verschollenen zu seinem geeint trauernden Volk.

Wem gehört die Leiche? Der Familie oder der Politik?

Aber das von der Familie Ken Saro-Wiwas geplante Fest hat stattdessen tiefen Streit geschürt. Die 1990 gegründete Interessenvertretung der Ogoni, die einst von Ken Saro-Wiwa geführte „Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes“ (Mosop), ist strikt gegen die Feiern, die in dieser Woche mit dem Pflanzen von Bäumen begonnen haben. Ihr Londoner Vertreter Lazarus Tamana stellt gegenüber der taz klar: „Wir haben damit nichts zu tun. Dass Ken zu den Gründern von Mosop gehörte, heißt nicht, dass Mosop sein Eigentum war. Es ist ja nicht die Bewegung für das Überleben der Saro-Wiwa-Familie!“

Owens Wiwa, der Bruder des Hingerichteten, hatte im Juni 1999 von Nigerias neuer Regierung die Zusage erhalten, dass die Leiche von Ken Saro-Wiwa freigegeben werde – beziehungsweise das, was nach Säurebehandlung und Verwesung übrig ist. Im Februar traf der erste einer Gruppe ausländischer Pathologen ein, um im Auftrag der Familie mit der Exhumierung zu beginnen.

Mittlerweile hatte die Mosop aber eigene Pläne geschmiedet. Ken Saro-Wiwas Nachfolger Ledum Mitee befindet sich mit den Hinterbliebenen des Hingerichteten in einem Dauerstreit über die politische Erbfolge. Sie rief ein Begräbniskomitee unter Führung eines pensionierten methodistischen Bischofs ins Leben, das entschied: Keine Sonderbehandlung für Ken Saro-Wiwa. Wenn schon ein neues Begräbnis, dann für alle Ogoni-Opfer der Militärdiktatur zusammen. Und zwar am 10. November 2000, dem fünften Jahrestag der Hinrichtung.

Die Mosop reklamiert für diesen Plan die Unterstützung der Familien der acht mit Ken Saro-Wiwa hingerichteten Ogoni. „Ich will den Körper meines Sohnes!“, sagte dagegen Ken Saro-Wiwas Vater Pa Jim in einem Zeitungsinterview. „Ich möchte meinen Sohn nach unseren Gesetzen und Bräuchen begraben. Wer ein Massenbegräbnis will, kann es mit seinen eigenen Leuten machen.“ Der Mosop-Vertreter in den USA, Yereba Kina, solidarisierte sich und griff zum schlimmsten Vorwurf, den es unter den Ogoni gibt: „Berichte, wonach die Beerdigungen nicht im April stattfinden sollten, sind Teil eines Planes von Shell, um Ken Saro-Wiwa zu schänden.“

Tatsächlich ist auch die Mosop längst gespalten. Sie hat zwei rivalisierende Führungen. Daneben gibt es alle möglichen traditionellen Führer und Kommunalpolitiker, die sich nie mit Ken Saro-Wiwa identifizierten und auch heute lieber mit der Regierung zusammenarbeiten. Von ihren Feinden werden sie als „korrumpierte Shell-Agenten“ beschimpft.

Neben dem Schicksal von Ken Saro-Wiwa ist der wichtigste Streitpunkt zwischen den Fraktionen eine mögliche Rückkehr von Shell. Der Ölmulti hatte sich 1993 wegen der anhaltenden Proteste unter Ken Saro-Wiwas Führung aus seinen historischen Fördergebieten im Ogoni-Land zurückgezogen. Seit dem Ende der Militärherrschaft in Nigeria 1999 versucht die neue Regierung, die Ölförderung sozial- und umweltverträglicher zu gestalten, und wünscht auch eine Rückkehr von Shell in die Region.

Es hat darüber mehrere ergebnislose Gespräche zwischen Shell und der Mitee-Fraktion von Mosop gegeben. Shell vereinbarte daneben jedoch mit anderen Ogoni den Bau einer Straße quer durch das Ogoni-Gebiet. Kritiker halten diesen Plan für die Vorstufe einer Rückkehr des Ölmultis und organisierten Ende März erste Demonstrationen.

Als danach die ersten Vertreter von Shell-Vertragsfirmen ins Ogoni-Land reisten, um die Bauarbeiten vorzubereiten, eskalierte der Streit. Am 11. April entlud sich die Gewalt in Ledum Mitees Heimatstadt K-Dere. Es gab nach Presseberichten fünf bis zehn Tote und hunderte Verletzte; 15 Häuser gingen in Flammen auf, darunter das von Ledum Mitee. In Zeitungsberichten hieß es, Mitees Anhänger hätten Shell-Unterstützer angegriffen; daraufhin sei ein Großeinsatz der Polizei erfolgt, in dessen Verlauf der Mosop-Führer sein Haus verlor.

Wieder kommen Berichte von Folter aus dem Delta

Hunderte von Ogoni flohen seitdem aus der Gegend um K-Dere, während Mitee und zwei seiner Mitarbeiter, Saturday Lekol und Lucky Zobar, verhaftet und wegen Brandstiftung angeklagt wurden – ein Verbrechen, das in Nigeria mit „lebenslänglich“ bestraft werden kann. Am Mittwoch kamen die drei Angeklagten auf Kaution frei, aber Lekol und Zobar wurden wieder verhaftet. Mosop erklärte, die beiden seien mit Peitschen und Elektrokabeln gefoltert worden und man müsse bis zum nächsten Gerichtstermin am 3. Mai um ihr Leben fürchten. „Die Zivilregierung“, protestierte die Bewegung, „greift zu den Taktiken der Abacha-Diktatur.“

Die erneute Repression gegen Mosop scheint die Familie Wiwa wenig zu kümmern. Am Donnerstag schritt sie an der Spitze von 1.000 Aktivisten zu einem Friedhof in Port Harcourt, um Ken Saro-Wiwas Leichenreste abzuholen. Die Friedhofsverwaltung verweigerte ihr den Zutritt, die Prozession definierte sich zur symbolischen Totenwache um. Führer bewaffneter Gruppen priesen Saro-Wiwa, ohne dessen Handeln die Völker des Nigerdeltas nie zum Widerstand gegen die Ölkonzerne gefunden hätten.

Jetzt bleiben ihnen noch ein paar Tage Zeit, um den Leichnam zu bekommen, den sie am Ostermontag in die Heimaterde legen wollen. „Irgendwas werden sie schon begraben“, lästert Mosop-Vertreter Lazarus Tamana in London. „Sie werden etwas begraben, was Ken Saro-Wiwa gehörte, und sagen, das war seine Beerdigung.“