Schweiß auf der Spitze des Eisbergs

■ Hoher Besuch bei internationalem Karate-Kurs in Norderstedt

Gichin Funakoshi beäugte kritisch die ächzende Menschenmenge unter ihm. Das Konterfei des 1957 verstorbenen Begründers des modernen Karate zierte die Wand der HSV-Sporthalle in Norderstedt, als über 250 seiner Karate-Ur-Enkel aus ganz Deutschland ihren Ostersamstag und -sonntag für den schlagfertigen Sport opferten.

Und ihr Portemonnaie nicht schonten: Zwischen 70 und 100 Mark mussten die Weißkittel für insgesamt sechs Trainingseinheiten anlegen, die zwei der weltbesten Karateka gaben: Der 61-jährige Hiroshi Shirai ist – neben einem weiteren Japaner – als Träger des neunten Dans der höchstdekorierte Schwarzgurt auf dem Globus. Beeindruckend auch die Gürtelsammlung des Italieners Carlo Fugazza: Der graumelierte Endvierziger trägt den 7. Dan sowie etliche Europa- und Vizeweltmeister-Titel. Beide folgten einer Einladung Janusz Knapczyks. Die bekannte Hamburger Karate-Größe will ein Dojo in Norderstedt etablieren. Da helfen natürlich die Namen Shirai und Fugazza, die synonym für die volle Lust am Karate stehen. Doch die Halle stellte ein erstes Hindernis für den totalen Kampfsport-Spass dar. Der raue und stumpfe Boden malträtierte die Haut der barfüssigen Sportsfreunde, die Hallenakustik verwandelte Anweisungen der Trainer ins Worteraten. Als weiteres Hindernis entpuppten sich Sprachprobleme, vor allem bei Fugazza. Der Italiener tauchte intensiv in die Philosophie des Karate ein, allerdings in seiner Muttersprache; nur wenige konnten seinen Erklärungen folgen.

Den totalen Verständnis-Gau wendete eine Teilnehmerin ab, die mittels Französisch-Kenntnissen Fugazzas Gedankengänge verstehen und übersetzen konnte. So verstanden schließlich alle Fugazzas philosophische Essenz: Karate sei einem Eisberg vergleichbar: Was an Techniken zu sehen ist, sei die Spitze. Unter der Oberfläche verberge sich aber mehr, nämlich Wille, hartes Trainieren und das Schöpfen der Kraft aus dem Boden. Erst diese unsichtbaren Komponenten führten zu wahrem Können.

Vor allem dank des Japaners Shirai war mehr als nur die Spitze des Karate-Eisbergs zu sehen. Mit seinen Demonstrationen motivierte er die Anwesenden, seine kurzweiligen Ausführungen und Übungen trieben den TeilnehmerInnen den Schweiss auf die Stirn. Gichin Funakoshi konnte trotz kritischen Blicks mit den Leistungen zufrieden sein. Marcus Vogt