besuch der alten dame
: PETER UNFRIED über eine eineinhalbjährige Fanin

Hertha – eine sichere Anlage

Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren. Ich darf mich kurz vorstellen: Mein Name ist Paulina U., ich bin eineinhalb Jahre alt und lebe in einer Berliner WG.

Eigentlich kann ich über meine MitbewohnerInnen zunächst nichts Negatives sagen. Sie ist eine ziemlich wunderbare Frau. Er ist ein – bei einer gewissen Toleranz – knapp akzeptabler Mann. Ich will jetzt auch gar nicht über ihr unangenehmes Geschwäbele zetern. Oder davon reden, dass ich als gebürtige Kreuzbergerin von denen unlängst nach Neukölln verschleppt wurde.

Ist schlimm genug. Aber nichts gegen die wirklich finstere Seite dieser beiden Gestalten. Sie werden es wahrscheinlich nicht glauben wollen. Es stimmt aber. Halten Sie sich fest: Die beiden sind – oh my god – Anhänger des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Schlimm? Ja, aber es kommt noch schlimmer. Die wollen, dass ich auch Anhängerin dieses Klubs werde.

Wer?

Ich?

VfB? Das kann doch nicht ihr Ernst sein. Ist es aber.

Erst kamen sie mit einem vergilbten Album an. Guck mal, Paulina: Sie zeigten mir dann zunächst einen gewissen „Horschtle“ Köppel. War angeblich mal ein großer VfB-Spieler. Dann einen „Schönen Hansi“. War angeblich auch mal ein großer VfB-Spieler. Das Ganze ist als Gehirnwäsche gedacht. Das machen sie jetzt jeden Abend. Wenn sie mir den mit dem Entengrinsen zeigen, sehen sie dabei fast genauso dämlich aus wie dieser „Guido“ oder wie der heißt.

Jedenfalls kam als nächstes dieses Baseballcap. „VfB-Mützle“ nannten sie die. Kriegten sich nicht mehr ein vor Begeisterung. Hören Sie: Ich musste ein halbes Dutzend Schreikrämpfe investieren, um die nicht aufgesetzt zu kriegen.

Dann kamen sie mit VfB-Bettwäsche. Hatten ganz leuchtende Augen. Iiiih! Da wundern sie sich seit fünf Wochen, warum die immer sofort vollgekotzt ist. Als ob sich das nicht aus sich selbst erklärte!

Liebe LeserInnen, ich frage Sie: Aus welchem beschissenen Grund sollte ich VfB-Anhängerin sein? Weil die Alten gern mal nostalgisch werden? Oder Heimweh haben?

Das wäre unprofessionell genug. Es ist aber alles viel schlimmer. Nein, Paulina, sagen sie. Hertha – das ist nichts für dich. Da kriegen sie ein Gesicht wie Rudolf Dreßler, wenn das Stichwort „Neue Mitte“ fällt – oder „Andrea Fischer“. Oder sonst irgendein Wort. Hertha ist bääh. Angeblich sogar superbääh.

Dann erzählen sie von „Holst am Zoo“, von „all den Skandalen“, der „Geschichte“ des Olympiastadions und von Teilen der Anhängerschaft mit offenbar „bedenklicher politischer Gesinnung“. Wenn ich dann lachen muss, holen sie aus einer Schuhschachtel sogar taz-Artikel über Hertha und wie schlimm da alles ist.

Und dann singen sie gemeinsam: „Olé, VfB, Olé, olé.“

Hihihi.

Leute, ich bitte euch. Die Wahl eines Fußball-Unternehmens ist heutzutage eine ernste Sache, die genau überlegt sein muss. Schließlich wechselt frau ihren Klub nicht wie eine Windel – jedenfalls nicht ohne Grund.

Ob und warum der Führer einst im Olympiastadion urinierte, ist bei einer solchen Zukunftsentscheidung genauso wenig relevant wie irgendwelche landsfrauschaftlichen Aspekte. Es geht darum, dass man ein Unternehmen wählt, das eine wirtschaftliche Perspektive hat – dann kommt die sportliche Rendite mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Ein klares Ja zu einem Standort mit dauerhaftem Spitzenfußball auf einem gewissen europäischen Niveau. Alles andere ist doch Kokolores. Also: Ha-ho-he, Hertha BSC! Sentimentalitäten kann sich der moderne Fan nicht leisten. Sonst endet er mal wie meine Mitbewohner. Als abgewrackte Verlierer in Neukölln.