Entschuldigen geht vor Entschädigen

In der Spandauer Lutherkirche stand Ostern ganz im Zeichen der Entschädigung der Zwangsarbeiter.Die Kirchengemeinde diskutiert mit einem Manager und fordert die Wirtschaft auf, sich zu entschuldigen

Im Halbkreis stehen die gut besetzten Stuhlreihen vor dem Altar, durch die hohen Fenster fällt fahles Abendlicht, das Designer-Kreuz – zwei eine Umarmung andeutende Holzkreuze – bringt gar etwas Erotik in die Evangelische Lutherkirche, Spandau. Es ist kühl und still; plötzlich schlägt Kantor Matthias Bender in die Tasten des schwarzen Flügels, und die rund 30 Gläubigen singen: „Das könnte den Herren der Welt so passen, wenn erst nach dem Tod Gerechtigkeit käme, wenn hier die Herrschaft der Herren, wenn hier die Knechtschaft der Knechte so weiterginge wie immer.“

Pfarrer Peter Kranz spricht in das Kirchenschiff, das vor Jahren mangels Zulaufs um zwei Drittel verkleinert wurde: Die Osternacht, die Zeit zwischen Tod und Leben, stehe in diesem Jahr ganz im Zeichen der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter; man wolle erinnern an das jahrzehntelange Verdrängen der eigenen Schuld und die Berliner Wirtschaft mahnen, sich der Entschädigungsfrage zu stellen. Dazu hat die Gemeinde, die ihren offenen Gottesdienst mit Textcollagen aus der NS-Zeit, Täter- und Opfererinnerungen beginnt, sogar die Wirtschaft eingeladen.

Axel Kraft, Geschäftsführer der Heinkel Systemservice GmbH, steht der Gemeinde auf dem Podium Rede und Antwort, nachdem der liturgische Teil des Gottesdienstes beendet ist und die polnische Jazzband Jazzbabaryba ein kurzes Stück gespielt hat. Er habe, so Kraft, den Markennamen der Firma Heinkel gekauft; deshalb müsse er sich auch der geschichtlichen Verantwortung stellen.

Heinkel, einst ein großer Flugzeug- und Rüstungsfabrikant, hat in Berlin zigtausende Zwangsarbeiter beschäftigt. Nach entsprechenden Presseberichten ist Krafts Firma, die einen Umsatz von 6,8 Millionen Mark jährlich macht, mit einem Beitrag von 20.000 Mark dem Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft beigetreten. Das sei mehr als das Übliche, ein Promille vom Umsatz, sagt Kraft. Die Mitglieder der kleinen Gemeinde, gemischt quer durch alle Altersgruppen, nicken zustimmend.

Als die Journalistin Amory Burchard auf dem Podium berichtet, dass erst rund 60 Berliner Firmen dem Fonds beigetreten sind, stellt die Gemeinde Fragen. Ob das Ganze überhaupt in der Berliner Wirtschaft diskutiert werde, will einer von Kraft wissen. Der etwa 40-jährige Mann zögert einen Moment. „Jetzt, wo die Rechtssicherheit für die deutschen Firmen geklärt ist, wird es zu einer Eintrittswelle kommen.“

Im Publikum regt sich Widerspruch. Die deutsche Wirtschaft habe sich jahrzehntelang geweigert zu entschädigen, sagt einer. In den vergangenen Jahren sei das Thema nur ins Rollen gekommen, weil große Konzerne wie Daimler, Siemens und Deutsche Bank in den USA Geschäfte machen wollten. „Ohne mögliche Schadenersatzklagen und Boykottdrohungen hätte sich keiner dieser Herren bewegt.“

Am Ende versucht Pfarrer Kranz einzulenken. Den Opfern gehe es nicht um die finanzielle Wiedergutmachung. Wichtiger sei, dass sich die deutsche Wirtschaft öffentlich entschuldige, so wie es Willy Brandt im Warschauer Getto und Johannes Rau in der Knesset getan hätten. Und mit einem ernsten Seitenblick auf Kraft: „Das Wort ‚Entschuldigung‘ wäre ein Exportschlager.“

Die Gemeinde, wegen des milden Sommerabends nicht ganz so zahlreich vertreten wie sonst, geht zum gemütlichen Teil des Abends über. Das Buffet ist reichlich gefüllt, kleine familiäre Gesprächsgrüppchen bilden sich. Man dürfe die Wirtschaft nicht aus der Pflicht lassen, sagt eine. Später fragt ein anderer: „Wie hat eigentlich Hertha gespielt?“

RICHARD ROTHER