Götterspeise in der Schule

Alternative Christen wollen in Berlin einen gemeinsamen Religionsunterricht für Christen, Muslime und Juden einführen. Doch dieser Beitrag zum Religionsstreit entsetzt die Amtskirchen

von JULIA NAUMANN

Eine neue Stimme mischt mit im Hauptstadt-Streit um den Religionsunterricht. Mittlerweile 40 namhafte ChristInnen fordern ein gemeinsames religiöses Unterrichtsfach für alle SchülerInnen in Berlin. Zu den ChristInnen, die sich „Alternative Stimme“ nennen, gehören unter anderem der ehemalige Europaabgeordnete und Bürgerechtler Wolfgang Ullmann, acht PfarrerInnen aus Berlin, Christen aus der „Initiative Kirche von unten“, aber auch WissenschaftlerInnen.

In Berlin ist der Religions- und Ethikunterricht derzeit noch freiwillig. Schulsenator Klaus Böger (SPD) und die Christdemokraten wollen jedoch einen benoteten Wahlpflichtbereich Religion/Ethik wie in den meisten anderen Bundesländern. Vor zwei Monaten bekam die Islamische Föderation das Recht, ebenfalls Religionsunterricht anzubieten. Dies hatte eine erhitzte Debatte um den Status des Religionsunterrichts ausgelöst.

Für die evangelische Theologin Ruth Priese ist deshalb das Modell eines multireligiösen Unterrichts „angesichts von 130 in Berlin vorhandenen Religionsgemeinschaften die einzige zukunftsträchtige Möglichkeit für Religionsunterricht“. Ein Wahlpflichtbereich, in dem die verschiedenen Religions- und Konfessionsgruppen ihren eigenen Unterricht gestalteten, würde wenig zum gegenseitigen Verstehen beitragen.

Die Erarbeitung des Rahmenplanes, so Priese, solle „eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe übernehmen“, die sich aus VertreterInnen aller Religions- und weltanschaulichen Gruppierungen mit anerkanntem Status, der Eltern- und Schülerschaft und RepräsentantInnen der Wissenschaft zusammensetzen. Eine Möglichkeit, diesen Unterricht kostengünstig zu installieren, sei, Sozialkunde auszubauen.

Bei den beiden Amtskirchen stößt der progressive Vorschlag allerdings auf wenig Gegenliebe. „Das ist überhaupt kein angemessener Weg für Berlin“, findet Reinhard Stawinski, Sprecher der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. Ein gemischter Unterricht habe „keine Perspektive“. Alle denkbaren Wege seien jahrelang diskutiert worden. Die Synode – das Kirchenparlament – habe aufgrund dieses Diskussionsprozesses beschlossen, dass der einzige gangbare Weg ein Wahlpflichtbereich in der Hauptstadt sei. Dieser Wahlpflichtbereich sei keineswegs „aufgesplittert“, wie es die alternativen ChristInnen befürchteten, denn es sei Kooperation zwischen den Konfessionen bei bestimmten Themen vorgesehen.

Ablehnung kommt auch von der katholischen Kirche. Für Rupert von Stülpnagel, Schulrat im katholischen Kirchendienst, steht die Position der alternativen ChristInnen der der Amtskirche „diametral“ gegenüber.

Die Ablehnung wundert allerdings nicht. Schließlich soll der multireligiöse Unterricht laut Ruth Priese die Möglichkeit bieten, „Wahrheitsansprüche von Bekenntnisgemeinschaften zu relativieren, Gruppenegoismen aufzulösen und das Gemeinsame aller Natur-und Weltreligionen zu erarbeiten“. Es solle ein Unterricht „jenseits des vollständigen Wissens über die eigenen Bekenntnisse, die ohnehin nicht in die staatlichen Schulen gehören“, sein.

Der Katholik Stülpnagel befürchtet deshalb eine „allgemeine Gleichmacherei“. Toleranz könne nur gewonnen werden, wenn Differenzen ausgehalten werden, ist er überzeugt. Dennoch sei es legitim, dass sich „eine solche Stimme erhebe“, denn der Schulsenator Böger wolle ja einen „ergebnisoffenen“ Dialog.

In der evangelischen Kirche wurden die alternativen ChristInnen bereits ins Gebet genommen: Dort wurde die Religionslehrerin Ruthild Hockenjos, die auch Unterzeichnerin des multireligösen Unterrichts ist und diesen bereits seit Jahren praktiziert (siehe Interview) zum Gespräch geladen. Rolf Lüpke, der bei der evangelischen Kirche für Religionsunterricht zuständig ist, befürchtet, dass es sich um ein Unterrichtskonzept handeln könnte, das ReligionslehrerInnen auf Dauer überflüssig mache. Laut Hockenjos sei das Gespräch aber sehr produktiv verlaufen. „Meine Arbeit wird toleriert.“ Sie sei ermahnt worden, der Kirche loyal gegenüberzustehen.

Um noch mehr Gehör zu bekommen, haben die alternativen ChristInnen ein Gespräch beim SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit angemeldet. Auch mit Schulsenator Böger soll gesprochen werden. Eile, das neue Fach zu installieren, gebe es jedoch nicht, sagt Mitinitiator Josef Göbel. „Wir sind uns einig, dass erst die Schulsituation in Berlin ingesamt besser werden muss. Sonst haben wir keine Chance.“