„Die Leute erwarten zu viel“

My everchanging Mod: Paul Weller über seine Liebe zum Soul und die Britpop-Baisse, politische Desillusionierung in Zeiten von Tony Blair und die Angst vor peinlichem Altern

taz: Herr Weller, es heißt, Sie geben selten und dann auch nur sehr ungern Interviews. Warum?

Paul Weller: Wochenlang in irgendwelchen blöden Hotelzimmern sitzen und sich den Mund fusslig zu reden, das ist doch eine Qual. Außerdem halte ich es für falsch, Musik haargenau zu erklären – dadurch wird sie bedeutungslos, sie verliert ihre Magie. Das ist so, als ob mich meine Freundin ständig fragen würde, ob ich sie liebe. Je öfter du gefragt wirst, desto größer werden die Zweifel.

Zweifeln Sie denn an manchen Ihrer früheren Songs, oder sehen Sie Phasen Ihrer musikalischen Laufbahn besonders kritisch?

Was The Jam und The Style Council betrifft, so bin ich verdammt stolz auf diese Songs. Aber ich bin auch froh, dass ich mir den Weg durch die 90er freigeschaufelt habe und nicht immer nur die alten Kamellen runterreißen musste. Ich habe ganz neue Songs für ein neues Publikum geschrieben, dem The Jam oder Style Council vielleicht gar nicht geläufig sind. Und das ist schon okay – ich für meine Person schreibe ausschließlich für das Hier und Jetzt.

Wie hat sich Ihr Songwriting über die Jahre verändert?

Heute ist alles viel persönlicher, im Vergleich zum Style-Council-Material, das sehr politisch und sehr direkt war, aber auch zu den Songs von The Jam, die sich mit der Gesellschaft und meinen Ansichten dazu beschäftigten. Heute geht es mir vor allem darum, Gefühle und Emotionen auszudrücken.

Eines hat sich all die Jahre nicht geändert: Seit Sie 17 sind, werden Sie von ihrem Vater gemanagt ...

Eigentlich schon seit ich 14 war – eben seit ich anfing, Musik zu machen.

Fühlen Sie sich dabei nicht ein bisschen eingeschränkt?

Oh, ich genieße alle Freiheiten, die ich mir nur wünschen könnte, und mein alter Herr – im Grunde hat er mehr von einem Rock’n’ Roller als ich. Wir gehen oft zusammen aus, betrinken uns und haben Spaß. Was das betrifft, habe ich einfach riesiges Glück – schließlich haben nicht alle, die sich in geschäftlichen Dingen auf ihre Familie verlassen, gute Erfahrungen gemacht.

Stimmt es, dass Ihren Eltern der Telefonanschluss gekappt wurde, weil deren Geld für Ihre erste Gitarre draufging?

Ja, das stimmt. Meine Eltern haben mich immer nach besten Kräften unterstützt – und das, obwohl meine Eltern ganz normale Arbeiter waren, die kaum Geld hatten. Das war meine Chance, aus dem ganzen Scheiß auszubrechen. Klar, das ist ein Klischee, aber im Grunde gilt bis heute: Für Arbeiterkinder funktioniert der gesellschaftliche Aufstieg entweder durch Sport oder durch Musik.

Sehen Sie im Gitarrenspiel ein soziales Statement?

Als ich damit angefangen habe, war es das noch – es war meine Flucht aus dem vermeintlich normalen Leben. Vielleicht besitzt die Musik heute nicht mehr diese ganz große Anziehungskraft auf mich – aber sie ist immer noch der beste Weg, um mich selbst auszudrücken.

In den 80ern hat Ihr politisches Engagement fast Ihr musikalisches Schaffen in den Schatten gestellt. Betrachten Sie das als eine Art Jugendsünde?

Irgendwie schon. Denn ein Musiker, der nicht mehr über Musik spricht, verfehlt ja irgendwie seinen Beruf. Mir war das damals unglaublich wichtig – aber es ist gefährlich, sich in irgendwelche Doktrinen zu versteigen. Um ehrlich zu sein, habe ich das Interesse an der Politik völlig verloren. Das England der 80er war ja auch ganz anders. Nicht, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen Tony Blair und John Major geben würde – aber Thatcher war schon ein anderes Kaliber. Die Tories haben dieses Land in zwei Hälften geteilt, den Süden mit allen Mitteln gesponsert und den Norden schlichtweg verkommen lassen. Dagegen musste man sich einfach wehren.

In Tony Blair wurden ja viele Hoffnungen gesteckt. Er galt als Popstar der Politik, oder als Politiker der Popstars ...

Das war er anfangs auch. Aber mir war das zu stark an „Red Wedge“ (Musikerbündnis für Labour im Wahlkampf 1987, d. Red.) angelehnt – dieselbe Masche, andere für sich einzuspannen. Und das nimmt ihm inzwischen keiner mehr ab. Es hat sich schließlich nichts geändert: Es werden immer noch Krankenhäuser geschlossen, und der so genannte Sozialstaat ist in einem beschissenen Zustand. Außerdem gibt es immer noch Kriege, an denen England maßgeblich beteiligt ist – genau wie an der hoffnungslosen Verschuldung der Dritten Welt. Das einzige, was sich vielleicht geändert hat, ist die Einstellung der Leute. Die ist viel gesünder – nämlich gleichgültiger.

Politiker sind so austauschbar, dass es sich gar nicht lohnt, Zeit und Mühe zu investieren. Wirklich etwas erreichen kann man auch alleine – zum Beispiel mit einem Benefiz-Konzert, wie wir es letztes Jahr für das Kosovo gegeben haben. Das bringt viel mehr, als sich für die Labour Party zum Affen zu machen.

Musikalisch waren The Style Council ihrer Zeit oft voraus ...

Ja, vor allem mit den letzten Alben. Die House-Anleihen, an denen wir uns damals versuchten, waren noch absoluter Underground und wurden vom Mainstream völlig ignoriert.

Mussten The Style Council darum kommerziell scheitern?

Das kann schon sein. Die Platten hörten urplötzlich auf, sich zu verkaufen. Damals hatten wir noch unser eigenes Studio, Solid Bond, das hat uns finanziell regelrecht die Haare vom Kopf gefressen, weil es im Unterhalt so unglaublich teuer war. Wir haben jede Menge Geld verloren und wurden für unsere Plattenfirma irgendwann einfach untragbar.

Dabei hattet ihr großen Einfluss auf die britische Musikszene der frühen 90er, nicht zuletzt auf das Acid-Jazz-Movement ...

Acid Jazz resultierte nicht zuletzt aus der Mod-Bewegung der späten 70er, frühen 80er. Da gab es eine Menge alter Mod-Gesichter, die sich später diesem Sound zugewendet haben. Aber ich würde nie so weit gehen zu behaupten, The Style Council wären für irgendetwas verantwortlich gewesen. Ich denke, wir waren genau so aktiv wie viele andere auch – und das bin ich noch immer ...

Ihre neue Platte klingt allerdings, als wäre sie komplett in den 60ern entstanden. Warum?

Wir verwenden einfach nur richtige Instrumente – Gitarren, Verstärker, Drums, ein richtiges Piano und Bass. Ich brauche keine verdammten Effekte und all diesen Mist – ich will einen direkten Sound, ohne großen Schnickschnack. Wir haben jeweils drei Songs in zwei Tagen eingespielt – und anschließend musste das Ganze sechs Wochen lang gemixt werden. Da fasse ich mir doch an den Kopf – was soll das? Die Technologie gibt uns nicht nur viel mehr Optionen, sie macht den Prozess des Platten-Produzierens auch immer langsamer.

„Heliocentric“ erinnert an Kinks-Platten aus den frühen 70ern, es hat denselben zirkushaften Flair ...

Ja, und es lehnt sich an diese typische Gute-Laune-Musik von Ronnie Lane an. „The Keeper“, den Opener des Albums, habe ich kurz nach Ronnies Tod geschrieben, und ich greife darin noch einmal seinen ureigenen Stil auf – eben dieses Zirkus- oder auch Jahrmarkt-Ding. Für mich hat das etwas ungemein Lebenslustiges.

Die Idee war, ein nettes, warmes Sommer-Album zu machen. Ich wollte weg von diesem düsteren, intensiven Sound, der vor allem „Heavy Soul“ auszeichnete, und etwas Fröhliches und Farbenprächtiges schaffen.

Wie steht es um Ihren Draht zu aktuellen Bands wie Oasis, The Charlatans oder Ocean Colour Scene?

Unsere einzige tiefere Verbindung ist die Musik, von der wir eine sehr ähnliche Vorstellung haben – nämlich in der Form, dass sie auf die Bühne gehört. Das ist aber auch schon alles. Man sieht sich mal gelegentlich irgendwo, sagt Hallo oder tauscht ein paar Belanglosigkeiten aus. Eben auf diesem Level.

Die Presse nennt diese Bands gerne „Paul’s Kids“ ...

Das ist doch Blödsinn! Klar, einige von denen sind riesige Jam-Fans und wurden sicherlich von mir beeinflusst. Aber im Grunde führt jeder sein eigenes Leben mit seiner eigenen Musik.

Was halten Sie vom aktuellen Oasis-Album?

Ganz okay, obwohl sie das sicherlich noch viel besser hinkriegen könnten. Aber all die Leute, die ständig über Oasis herziehen, sollten sich vor Augen führen, dass es erst ihr viertes Album ist. Momentan erwarten die Leute einfach zu viel. Denn wenn du von deinem ersten Album 12 oder gar 20 Millionen verkauft hast, wie willst du das noch toppen?

Wie sehen Sie die aktuelle britische Musikszene?

Momentan stecken wir in einer echten Krise, aber das ist ja nichts Neues. Wenn du lange genug dabei bist, erlebst du das immer wieder: Die Erfolgskurve geht ständig rauf und runter.

Was hören Sie heute – immer noch viel Soul, Blues und Jazz?

Ja, wenn du dich einmal darin verliebt hast, lässt dich das nie wieder los. Es ist die große Liebe meines Lebens – dagegen hat keine Frau den Hauch einer Chance (lacht). Aber wissen Sie, worauf ich momentan stehe? Auf alten Ska, Reggae und Rocksteady. Da gibt es ein paar unglaublich gute Compilations, und zwar auf Soul Jazz Records, „100 % Dynamite“ und zwei weitere Teile, die sind einfach großartig. Auch sonst höre ich jede Menge Re-Issues.

Was aktuelle Sachen betrifft, halte ich mich momentan etwas zurück. Das Letzte, was mir wirklich gut gefiel, waren die Super Furry Animals, Supergrass und ein paar Songs vom neuen Primal-Scream-Album. Aber im Vergleich zu den alten Reggae-Sachen ist das wirklich Kinderkram ... ehrlich (lacht).

Macht Ihnen eigentlich die Vorstellung Angst, in diesem Geschäft alt zu werden?

Ja, schließlich ist Rockmusik etwas für junge Leute – genau wie Sport. Natürlich kann man selbst im hohen Alter noch spielen. Aber das ist nicht dasselbe, denn Musik wirkt auch immer visuell. Das Feuer aufrechtzuerhalten, das gelingt nur wenigen – zum Beispiel Taj Mahal oder Robert Wyatt. Die sind immer noch cool – was ich vom Gros meiner Generation nicht behaupten kann.

Und darum geht es in Songs wie „With Time And Temperance“ – eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, wie verdammt alt man doch ist?

Das ist eher ein Seitenhieb gegen meine Ex-Frau. Aber wie gesagt, ich will meine Songs nicht bis ins Detail analysieren – weil sie dadurch zu durchsichtig werden. Es gibt nichts Schöneres, als die Interpretationen anderer Leute zu hören. Die Tatsache, dass ich jetzt die eigentliche Idee erzähle, zerstört doch alles.

Interview: MARCEL ANDERS