Mona Lisa heult die Kissen voll

■ Marcel Duchamp neu aufgelegt: KünstlerInnen aus Bremen, Berlin und den USA antworten eigenwillig auf den Franzosen. Die Ausstellung „Re: Duchamp“ ist noch bis zum Wochenende im Vegesacker Kulturbahnhof zu sehen

Welche Frau würde nicht weinen, wenn ihr ganz plötzlich ein Bart wachsen würde. Die Tränen der Mona Lisa füllen ein Aquarium halbvoll. Zwei rote Kissen schwimmen im Becken. „Bitte nicht in die roten Kissen weinen“ steht drauf. Mit dieser Installation setzt der Worpsweder Künstler Heini Linkshänder gelungen seine Assoziationen zu einer Arbeit Marcel Duchamps in Szene. Der französische Künstler Duchamp hatte 1919 das Bildnis der Mona Lisa von Leonardo da Vinci auf einer Reproduktion mit einem Schnurr- und Kinnbart ver(un)ziert. Linkshänder hat sich mit den Folgen dieser Verunstaltung für die Frau auseinandergesetzt und gestaltete seinen Beitrag „Die Tränen der Mona Lisa über ihren plötzlichen Bartwuchs“.

Zu sehen ist das „Tränen-Auffangbecken“ Linkshänders in der Ausstellung „Re: Duchamp“ im Vegesacker Kulturbahnhof. Dort befassen sich weitere KünstlerInnen aus Bremen, Berlin und Amerika mit dem Werk und Künstler Duchamp. Es sind sehr unterschiedliche und eigenwillige Arbeiten zu sehen: Die Installation mit dem Titel „Nagelbett“ von Dagmar Hess zeigt ein hölzernes Puppenbett, bespickt mit Nägeln, auf denen abgebrochene Fingernägel aufgespießt sind. Eine ganz andere Antwort auf Duchamp findet Ursula Cyriax – bei ihrer Computerkunst „Hirnschauen“ kann sich der Ausstellungsbesucher durch Gehirnstationen wie „Handtaschenzentrum“ oder „Einkaufszentrum“ klicken.

So vielfältig und unkonventionell wie sich seine „Nachfahren“ mit ihren Kunstobjekten präsentieren, war auch der 1887 in Frankreich geborene Duchamp. Er war einer der bedeutensten und vielseitigsten Künstler der Moderne. Sein künstlerisches Schaffen beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts mit Gemälden impressionistischer Landschaften und setzt sich ab 1911 mit dem Symbolismus, Kubismus und Futurismus auseinander. 1912 bricht er mit der traditionellen Ausdrucksform der Malerei, wendet sich aber nicht völlig von der Kunst ab. In den nächsten Jahren bringt er seine „Ready Mades“, industriell gefertigte Gebrauchsgegenstände des Alltags, in die Museen. Ein handelsübliches Pissoir – lediglich mit seinem Namen versehen und so zu Kunst erhoben – gehört zu Duchamps berühmtesten Werken.

Auch ein Bremer Künstler greift die Idee der „Ready Mades“ auf. Im Kulturbahnhof hat Tom Terhoeven ein riesiges Schachbrett aufgebaut – und spielt damit auf Duchamps Liebe zum Schachspiel an. Die Figuren sind aus ebendiesen handelsüblichen Gegenständen: Silberne Vasen bilden die Körper von Bauern und Co. Die Köpfe der beiden Könige sind mächtige Hirschgeweihe, die der Königinnen sind verrostete Fangeisen, weit aufgerissen wie unstillbare Mäuler.

Provozierende Kunst wie die von Duchamp. Heute entfacht Derartiges keine Skandale mehr. Seinerzeit erregte Duchamp das Bildungsbürgertum. Er gab Anstoß zum Nachdenken über die ästhetischen Qualitäten eines Kunstwerks. Begriffe wie Schönheit, Geschmack und Ästhetik waren für ihn keine Kriterien für ein gutes oder schlechtes Werk. Der Künstler spielt für Duchamp nicht allein die Hauptrolle. Genauso wichtig ist der Betrachter eines Kunstwerkes. So ist in der Ausstellung zu lesen: „Alles in allem wird der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen; der Zuschauer bringt das Werk in Kontakt mit der äußeren Welt, indem er dessen innere Qualifikation entziffert und interpretiert und damit seinen Beitrag zum kreativen Akt hinzufügt.“ Der Künstler fungiert lediglich als Medium. Ohne das Publikum wäre kein Künstler ein Künstler. Seine Kreativität bliebe unbeachtet und somit nicht existent. Das sollte auch heute gelten. Ein schönes Gefühl, wenn man nicht nur KonsumentIn sein darf. Sondern durch simples Bestaunen und Interpretieren dem Werk zu dem verhilft, was es sein will – Kunst. Wer aber Duchamp nicht kennt, hat es in der Schau schwer, einen Zusammenhang zwischen ihm und den Assoziationen zu ihm herzustellen. Dann bleiben die Objekte einfach „nur“ zeitgenössische Kunst. Tina Bauer

Auch in einer musikalisch-theatralischen Performance „Das große Glas“ versuchen Bremer SchauspielerInnen Marcel Duchamp und seine Idee in Szene zu setzen – vom 27. bis 29.4. jeweils um 20 Uhr im Kulturbahnhof Vegesack. Die Ausstellung „Re: Duchamp“ ist dort noch bis zum 29.4. zu sehen. Öffnungszeiten: bis Freitag täglich von 10 bis 14 Uhr, Freitag bis Sonntag von 14 bis 18 Uhr.